Original

29. Mai 1924

Die Ausstellung der jungen luxemburger Maker Noerdinger, Rabinger und Lamboran im Treppenhaus des Cercle darf für unsere Verhältnisse schon ein künstlerisches Ereignis genannt werden. Die Richtung ist für den landesüblichen Geschmack neu, für viele herausfordernd, aber das beste, was diesen „relativen“ Neuerern passieren konnte, ist, daß sie von den Jungen in den Himmel gehoben, von den Alten abgelehnt, von allen aber scharf diskutiert werden.

Eine Hauptfrage, die dabei zur Erörterung kommt, ist die nach der Bedeutung des Gegenstandes in der Kunst, und da wird es vielleicht zur Klärung der Begriffe beitragen, wenn hier einiges Wesentliche aus einem Aufsatz mitgeteilt wird, den Wilhelm Michel über den „Gegenstand in der Malerei“ in dem letzten Maiheft der vornehmen Zeitschrift „Kunst und Dekoration“ veröffentlicht. Er schreibt:

„Muß nicht die Frage des „Gegenstandes“ in der Malerei von neuem aufgerollt werden? Müssen wir nicht versuchen, die Lehrmeinungen des Impressionismus über diesen Punkt, die wir heute noch anerkennen, einer Revision zu unterziehen?

„Machen wir uns diesen einen Punkt vor allem klar, daß der Expressionismus die Anschauungen des Naturalismus und Impressionismus über die Bedeutung des Objekts in der Kunst fast uneingeschränkt übernommen hat. Nach diesen Anschauungen ist der Gegenstand weiter nichts als ein „Vorwand zum Malen“. Ob eine Madonna oder ein Kohlkopf, das macht nicht den mindesten Unterschied. Der Gegenstand ist gleichgültig. Ja, er ist nicht nur gleichgültig. Hören wir Trübner: „Fragen wir nun ferner den Laien, welche Art von Begebenheit sich für die Darstellung besonders lohne, so sagt er: Jeder interessante Moment aus dem Leben oder der Geschichte und womöglich ein freudiger bis zum Aufjauchzen, oder ein trauriger, der betrübt bis zum Tod, wie eine bekannte Malergröße einer vergangenen Periode gelehrt. Im Gegensatz hierzu sagt der moderne Künstler: Jeder Vorwurf ist interessant und selbst der unbedeutendste bietet des Interessanten genug für die Malerei, ja je einfacher der Gegenstand, desto interessanter und vollendeter kann ich ihn malerisch und koloristisch darstellen, Alles kommt nur darauf an, wie ich es darstelle, und nicht was ich darstelle.“ Klar geht daraus hervor, daß es keine andre Beziehung des Malers zum Gegenstand geben soll als die, an dem Objekt als an einer völlig leeren und belanglosen Sache das Ich des Künstlers, sein Wie, sein malerisches Können, die Tugenden seines Pinsels und seines Auges zu demonstrieren. Gefragt, worin die moderne Anschauung in der Malerei beruhe, gibt Trübner zur Antwort: Darin, „so gut als nur möglich zu malen, d. h. das Kolorit auf der Basts vollendetster Zeichnung auf die höchste Stufe zu erheben und alles übrige, bisher als Haupterfordernis Geltende dagegen so weit zu vernachlässigen, als es ein Hindernis wird, das der Erreichung des höchsten Ziels der Malerei, der höchsten koloristischen Qualität, im Wege sieht“. Der Gegenstand ist also nicht nur gleichgültig. Es besteht sogar ein Interesse daran, ihn so unbedeutend, alltäglich, nichtssagend wie möglich zu wählen, damit das Eigentliche, die Demonstration des Maler-Ichs, vollkommen ungestört daran zum Vorschein komme. Ausdrücklich wird jedes andere Interesse am Gegenstand außer der Verlautbarung der Malerpersönlichkeit als der Kunstwirkung abträglich verworfen und abgeschlossen. Es ist geradezu ein Prüfstein für die Erreichung der eigentlichen künstlerischen Absicht, „daß ein weiteres Interesse für Begebenheit und andere Zufälligkeiten gar nicht daneben aufkommen kann.““

Es ist nun äußerst interessant zu sehen, wie sich Wilhelm Michel, der eindringliche Hölderlin Biograph, zu diesem Problem stellt. Das mag der stärker Interessterte in dem Aufsatz selbst nachlesen. Es kam hier darauf.Den in alter Kunstbetrachtung besangenen deutlich zum Bewußtsein zu bringen, daß die Lehre von der vorherrschenden Bedeutung des Gegenstandes in der Kunst nicht so selbstverständlich und ausschlaggebend ist, wie sie es glauben. Und mancher Besucher der Ausstellung im Cercls wird die Bilder der jungen Künstler daraufhin vielleicht mit andern Augen ansehen.

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KatalognummerBW-AK-012-2670