Original

5. Juni 1924

Wo man hinblickt, immer klingt der alte Wiener Schmarren auf: Da streiten sich die Leut herum!

Zum Beispiel jetzt wieder in der Kammer über die Steuern. Alle schreien durcheinander, halten beide Hände auf die Taschen, reden hohe. Töne von Gerechtigkeit und Steuerfreudigkeit und am Ende kommt es darauf heraus, daß jeder sagt, er bezahle zu viel und der Nachbar zu wenig.

Fassen wir den Stier bei den Hörnern und stellen wir fest, daß in Steuersachen der verkehrteste Weg überhaupt der Weg der Gesetzgebung ist. Es ist so, als ab. Sie einen zum Tode Verurteilten fragen wollten, welche Todesart er vorzieht. Er wird ohne jeden Zweifel Altersschwäche wählen. Man wird mit ihm fertig, nur indem man ihn kurzerhand hängt, köpft oder elektrokutiert.

So ein Gesetz ist wie ein Motor, an dem vier Dutzend Lehrlinge um die Reihe bosseln. Da wird geschraubt und gefeilt, geschabt und gelötet, gebogen und beschnitten und wieder gebogen, wieder gelötet, geschraubt und geschabt und gefeilt, bis die Maschine nur noch als altes Eisen zu gebrauchen ist. Denn daß das Gesetz immer schlechter wird, beweist die Tatsache, daß es mit immer mehr Besserungsunträgen aufgequickt werden muß.

Es wäre doch so einsach!

Wieso? fragen Sie.

Ei, so hören und lesen Sie doch nur, was an allen Stammtischen, in allen Blättern, sogar in der Kammer zum Beispiel über die kürzlich veröffentlichte Liste der Steuerquoten gesagt wurde. Da wußte jeder mit Fingern zu zeigen, wer alles nicht hoch genug besteuert war. Der Müller sagte vom Lehmann, der Lehmann verdiene fünfmal, und der Lehmann vom Müller, der Müller verdiene zehnmal mehr, als er dem Fiskus angegeben habe, und das wisse doch jedes Kind.

Na na, jedes Kind, das ist vielleicht zu viel gesagt. Aber nach allem, was man so hört, gibt es ganz sicher überall im Lande Leute, die äußerst genau über Vermögen und Einkommen ihrer Mitbürger Bescheid wissen. Ich kenne mindestens fünfe, von denen ich überzeugt bin, wenn ich einmal in meinen eigenen Verhältnissen nicht mehr Bescheid wüßte, ich bräuchte mich nur vertrauensvoll an sie zu wenden, um auf ein Haar genau zu erfahren, wie es um mich sieht.

Nun gut, diese Leute müßten mit der Einschätzung und Steuerveranlagung betraut werden. Sie würden den Steuerzahlern auf die Spur gesetzt, etwa wie die Frettchen den wilden Kaninchen. Man bräuchte den ganzen schwersälligen, langsamen und lostspieligen Apparat der Gesetzgebung und einen großen Teil der Steuerverwaltung überhaupt nicht mehr, keine Spezialkommission, keine Taxatorenräte, keine Kontrolleure, nur die Einnehmer blieben bestehen.

Und dann, wozu der lange Umweg über das Einkommen? Die Frettchen könnten das viel, viel kürzer machen. Sie gingen nicht erst pedantisch davon aus, was einer verdient, um darnach seine Steuer zu errechnen, sondern sie sagten einfach: Der Mann bezahlt soviel, damit basta!

Herr Reyens nehme das „Memorial“, das die Liste aller Steuerbeträge enthält, und unterbrette es dem Frettchen-Kollegium. Es heißt ja immer, diese (Veröffentlichung der Steuerquoten) sei die wirtsamste Kontrolle, die Kontrolle durch die öffentliche Metnung, Also ziehe man daraus die Konsequenzen und lasse die öffentliche Meinung, wie sie sich am zuverlässigsten in dem Wissen der Frettchen um die Steuerfähigkeit ihrer Mitbürger kristallisiert, diese Liste der Abgabenbeträge revidieren. Damit ist dem öffentlichen Gerechtigkeitsgesühl Genüge geleistet, und das sall in Steuersachen ja schon eine Hauptsache sein.

Sie fragen, wer alsdann die Frettchen einschätzen soll?

Ich schlage vor, daß dies die zwanzig höchstbesteuerten Bürger des Landes besorgen sollen.

TAGS
  • on taxes
KatalognummerBW-AK-012-2675