Können Sie sich Lintgen als Fabrikstadt vorstellen?
Lintgen, das schöne, idyllische Dorf, eines der schönsten und idyllischsten im Land! Lintgen, in dessen Mitte noch immer die stattliche Fassade des alten Hauses Dondelinger an die gemütlichen Biedermeierzeiten erinnert, wo die guten Gasthäuser an den Landstraßen nach „Obersch“ hießen, wo der Lintger Markt weit über die Grenzen des Landes in hohem Ruf stand wo noch die Postkutschen mit Relais fuhren, die Fabrikschlote im Land an den Fingern einer Hand zu zählen waren und der erste Zozialist noch nicht geboren war - Lintgen das romantische, mit seiner lieben alten Klappermühle am Bach, in dem sich der Himmel durch grünes Baumgeäst spiegelte, mit seiner bergan steigenden Straße, an der die Häuser immer kleiner und malerischer werden und die Rasenhänge mit den weidenden Ziegen sich mit direkt voralpinen Allüren gegen den waldigen Höhenkamm hinanheben, mit selbem heiter hingebreiteten Wiesenflur, auf dem gepferchte Kühe grasen oder wiederkäuend im Schatten der Pappeln liegen, mit seinen weißen oder efeurankten Villen, um die herum Blumen blühen und Hühner gackern, - dies Lintgen als Fabrikstadt!
Und doch ist das Unmögliche wahr geworden. Mitten aus dem Wiesenflur steigt es unheimlich mit fremdartigen Formen, eine Fabrik an der andern.
Aber Lintgen hat Glück, sozusagen, beim Unglück. Sogar seine Fabriken haben etwas poetisch Apartes an sich.
Da ist zuerst die Kahlensäurefabrik Céodeux. Sie könnte chemischen Dünger fabrizieren, oder Leder oder sonst ein Produkt, das zwar für die Allgemeinheit sehr nützlich, für die Nachbarschaft aber unbequem und in seiner Entstehungsphasts im allgemeinen unästhetisch wäre.
Dagegen Kohlensäure! Sie ist das menschenfreundlichste und geselligste Gas, das die Chemie bisher erfunden hatfunden hat. Denn wir begegnen ihm durchweg unter den erfreulichsten Umständen. Es ist sowohl im Champagner, wie im Bier, leider allerdings auch zuweilen in unerwünschten Mengen in Stillweinen zugegen, aber das ist nicht seine Schuld, sondern die Schuld des Küfers, der den Einundzwanziger zu früh auf Flaschen gefüllt hat. Aber im Prinzip ist, wie gesagt, die Kohlensäure ein Gas, dem wir eine Steigerung des Genusses verdanken. Sein Prickeln erhöht die Wirkung des kühlen Tranks, wie der Firnis die Wirkung des Gemäldes, wie das Vibrieren des Fingers den Klang der Saite, der Pfeffer den Geschmack des Krebses, das Necken den Reiz der Liebe.
Zweitens bekommt Lintgen eine Orgelfabrik. Da denkt man schon gar nicht mehr an Industrie, sozialt Frage, dampsende Schlote, Treibriemen und ungesunde Arbeitsräume usw. Orgel und Fabrik, das paßt ganz und gar nicht zueinander. Darum sieht auch diese Orgelfabrik, dieser groteske Ziegelbau eher dem Tempel einer exotischen Gottheit ähnlich, als einer Fabrik. Ja, man könnte diese Orgelfabril von ferne selber für eine Orgel halten und sich vorstellen, wie es klänge, wenn sie auf einmal an einem Oster-, Pfingst- oder Weihnachtsmorgen das ganze Tal mit allen Registern durchbraufte.
Es war in der Tat eine glänzende Idee, in unserm Land und speziell in Lintgen eine Orgelfabrik zu bauen. Eine Orgel ist ein Organ freudiger Feierlichkeit und sie darf nicht in einer mürrischen, trost- und hoffnungslosen Umgebung geboren werden, die auf ihren Charakter einen übeln Einfluß haben könnte. Lintgen ist als Geburtsstätte einer Orgel ganz der richtige Ort.
Und zweitens brauchen wir in unserm Land noch sehr viele Orgeln. Der Kulturgrad eines Land läßt sich messen an der Zahl seiner Orgeln. Es war zum Beispiel von unabsehbarer Wirkung auf unser politisches Leben, wenn wir in unserer Kammer eine schöne Orgel stehen hätten. Sobald es stürmisch zu werden drohte, bräuchte der Herr Präsident nur die unsäglich sanfte Weise anzustimmen: „Wie lieblich sind die Boten, die den Frieden verkündigen,“ dem Register „Voix célestes“. Ginge es derart durcheinander, daß keiner mehr den andern verstünde ob schriee einer in Steuersachen wieder so laut, daß sie es bis nach Vichten hören könnten, so führe der Herr Präsident, statt mit ohnmächtigem Schellengebimmel, mit allen Pedalen drein: Eine Fuge von Bach, Hochzeitsmarsch von Mendelssohn oder von Richard Wagner, Te Deum oder Veni erea spiritus.
Besonders Veni oreator spiritus.