Wäre ich Pfingsten zuhaus geblieben, so hätte ich - wird mir versichert - totsicher glauben müssen, von der ganzen belgischen Bevölkerung sei alles bis aus die Greise und Säuglinge nach Luxemburg, Echternach, Mullertal, Mosel usw. ausgerückt gewesen.
Da ich aber nicht hier, sondern in Belgien war, kann ich Ihnen versichern, daß an den Pfingsttagen die Belgier nicht alle im Luxemburgischen waren, sondern die Landstraßen ihres eigenen Landes so dicht bevölkerten, wie es die unsrigen sicher nicht in höherem Maße gewesen sein können.
Dagegen kamen auf die paar Tausend Belgier, die mir daheim an einem Tage begegnet wären, umgekehrt ganze fünf Luxemburger, die meinen Weg in Belgien kreuzten.
Das beweist nicht, daß Belgien eine vierhundertmal stärkere Bevölkerung hat, als Luxemburg, sondern daß wir noch lange nicht denselben Zug nach Belgien verspüren, wie die Belgier nach Luxemburg.
Darin haben wir unrecht. Denn es gibt in Belgien, außer dem Boulevard Anspach, viele Gegenden, wo sich eine Zeitlang angenehm leben läßt und die die wenigsten von uns kennen. Ich meine diesmal zum Beispiel die belgischen Ardennen, den Bering etwa, der durch Salm, Amel, Vesdre, Warche, Warchenne usw. bespült wird. In Trois-Ponts sind ganz sicher noch nicht viele Luxemburger ausgestiegen, um sich etwa im Hotel zur Salm auf der Terrasse von der immer lächelnden Besitzerin einen Imbiß auftragen zu lassen: Meines Wissens nur zwei. Der andre hat sogar von seiner letzten Fahrt her ein Fischnetz dort liegen lassen.
Und Malmedy? Kennen Sie Malmedy? Es heißt: Malmedy sei bis vor zirka hundert Jahren belgisch gewesen und dann deutsch geworden, um nach dem letzten Krieg mit Eupen zusammen wieder an Belgien zu sollen. Das bilden sich die Geschichtsschreiber nur so ein. Malmedy war immerfort wallonisch und ist es geblieben und wird es bleiben, ob es von seinen Giebeln schwarz-weiß-rot oder schwarz-gelb-rot flattert. Malmedy ist wallonisch, wie Eupen deutsch ist. Cupen ist deutsch, trotzdem der Eupener Gesangverein belgischen Gästen zu Ehren seine schönsten Lieder singt, und Malmedy ist wallonisch, trotzdem seine Stadtmusik Uniformmützen nach preußischem Modell trägt. Aber das kümmert uns nicht, wir sehen Malmedy aus einem ganz andern Gesichtswinkel.
Bitte, nehmen Sie fünf Minuten lang Platz. Gleich hier unter den blühenden Rotdornbäumchen vor dem Hôtel de la Gare. Dicht nebenan plaudert die Warchenne unter der Brücke durch. Und so dicht beinahe, wie die Wellchen der Warchenne, folgen sich auf der Straße die Pfingstautos. Ich wette, es gibt in Belgien noch weniger Menschen, die kein Automobil haben, als solche, die nicht dekoriert sind!
Malmedy wurde mir durch Mancherlei eigentümlich. So zum Beispiel dadurch, daß es viele Gerbereien hat, die am Wasser liegen, und daß trotzdem das Wasser so sauber ist, daß Forellen darin leben können. Das Leder von Malmedy ist darum sicher nicht schlechter.
Die Straßen von Malmedy sind breit, hell, sauber, sehr sauber, und mit hübschen, zum Teil sehr alten und ehrwürdigen Häusern eingefaßt. Die Leute von Malmedy schlasen, wie es scheint, bei offenen Türen, und wenn Du früh morgens durch die Straßen gehst, siehst Du, wie der Bäckerjunge auf jede Fensterbank die Brötchen legt, die für den Morgenkaffee des Hauses bestimmt sind. Des ist ein Zeichen für das Vertrauen, das die Bürger in ihre Mitmenschen setzen und zugleich ein Stimulans für die Hausfrau, nicht zu lange zu schlasen, nicht etwa damit ihre Brötchen nicht gestohlen werden, sondern damit sie bei den Nachbarn nicht in den Ruf der Faulheit kommt, der zumal in kleinen Ortschaften jede Frau in kürzester Frist zur Strecke bringt.
Arme gibt es in Malmedy anscheinend keine, dagegen sieht man vielen Häusern und Villen an, daß es von jeher ziemlich viel Reiche in dem Städtchen gegeben hat. Es sei ihnen verziehen, denn das Bier, das sie brauen, ist gut, das Leder, das sie fabrizieren, ist gut, und das Papier, das sie herstellen, ist vorzüglich. Aber mehr noch, als die Bierbrauer, Gerber und Papiersabrikanten, habe ich die Maurer von Malmedy bewundert. Sie wissen den herrlichen Granitstein so akkurat zu schichten und auszüfugen, daß man versucht ist, an die Akkuratesse ihrer spitzenklöppelnden Landsmänninnen zu denken. Nichts macht so den Eindruck der trotzigen Festigkeit, des die Zähneaufeinander beißens, als dies Mauerwerk.
Ich merke, in einem Mal sind die Merkwürdigkeiten Malmedys nicht aufzuarbeiten. Wir müssen darauf zurückkommen.