Original

21. Juni 1924

Als zum ersten Mal ein Mensch einen lebendigen Krebs erbickte, rang es sich ganz bestimmt nicht von seinen Lippen: Ei wie lecker! Alle andern Gefühle weckt der Anblick eines Krebses, als den Wunsch ihn zu verspeisen. Beim Urmenschen war zweifellos das Auge der Wegweiser der Zunge. Eigentlich appetitlich wirkt auch auf den Kulturmenschen nur die Pflanzenwelt. Um Himmelfahrt ertappst Du Dich sicher bei dem Wunsch, ein Maikäfer zu sein, um die junge Blätterpracht durchaus zu genießen. Ein Pfirsich, ein Apfel, eine schöne Birne, eine Kirsche, eine Traube, das sind alles Gegenstände, die beim normalen Menschen die Speicheldrüsen unkurbeln. Nur wenn einer zu seinem Schatz sagt: Ich hab dich so lieb, ich könnte dich fressen - verrät er, daß wir tief innen zu den Fleisch- wnicht sogar Menschenfressern gehören.

Allein der Krebs ist weder Fleisch noch Fisch noch Pflanze, er ist ein großes, abstoßendes Insekt, er hat weder in seiner Farbe noch in seiner Form noch in seinen Bewegungen den mindesten Reiz, nichts deutet bei ihm auf Eßbarkeit und Wohlgeschmack. Doch der Mensch, der in seinem raffinierten Schleckertrieb sogar die Schildkröte seiner Zungenlüsternheit dienstbar zu machen wußte, kam schließlich auch hinter das Geheimnis des Krebses, und so wurde uns dies häßliche Schalentier sympathisch, und wir gewährten ihm Heimatrecht auf unsern Speisekarten. Ja, es gab sogar homerische Wettkämpfe darum, welche Zubereitungsart aus dem Krebs das Summum von Wohlgeschmack herauszuholen geeignet sei, und das kleine Luxemburg, eingedenk des weisen Spruchs eines seiner Fürsten. daß es groß ist in allem, in dem es einem kleinen Land groß zu sein möglich ist - steht in der Kunst, Krebse zu kochen, mit an der Spitze der Nationen.

Sie kennen das Rezept: Wenn Du Krebse kochst, so gib daran allen Pfeffer, den Du im Hause hast, und kauf noch für zwei Sous dazu. Doch ist diese Pfeffer-Regel nur cum grano salis zu verstehen. Außerdem sorgen die Krebshändler heute dafür, daß die leckern Tiere schon von Haus aus ausgiebig gepfeffert sind. Wir fingen als Buben in der Mosel im Handumdrehen Taschentücher voll Krebse, mit denen wir spielten, als ob es Maikäfer wären. Heute kosten sie achtzehn bis vierundzwanzig Franken das Dutzend.

Damit rückt der Krebs in die Reihe der Verbrauchsgegenstände, die in der Volkswirtschaft eine Rolle spielen. Wenn heute ein Steinseler Bauer, der mit dreihundert Meter Wiese an die Alzette stößt, sich auf eine rationelle Krebszucht verlegte, zöge er mehr aus dem Wasser, als aus seiner Wiese, zumal bei den diesjährigen Krebs- und Graspreisen. Auf die Forellen trifft übrigens dasselbe zu. Sie kosten zurzeit fünfunddreißig Franken das Kilo. Aber es will uns nicht in den Kopf hinein, daß mit derartigen Luxus-Leckerbissen auf ernste und gut bürgerliche Art Geld zu verdienen ist. Das gilt uns alles als die Domäne des Sports und der Wilddieberei. Durch rationelle Züchtung und Bewirtschaftung eine zuverlässige und dauernde Einnahmequelle schaffen, daran denkt niemand, es wird einfach drauflos geräubert, bis die Bäche leer sind, und dann beziehen wir Krebse und Forellen für schweres Geld aus dem Ausland und warten darauf, bis sich wieder die Mär verbreitet, daß irgendwo einer einen reichen Fischoder Krebsfang getan hat, dann wirst sich wieder alles drauf und die Herrlichkeit dauert drei Monate.

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  • animal: crab
KatalognummerBW-AK-012-2687