Original

20. Juni 1924

Allen Respekt vor den Gordon-Bennett-Fliegern, aber sie sind es nicht, die die Luft erobert haben. Das «plus lourd que l’air» hat sich siegreich gegen die Gasballons durchgesetzt, die sich einem leichteren Vetter der Luft ins Schlepptau hängten und über diese eigentlich nur einen passiven Sieg errangen. Richtig aggresstv ging gegen die Feindin Luft erst das Motor-Flugzeug vor, es bezwang sie mit seinen Schraubenflügeln wie mit unwiderstehlichen BoxerArmen, wirbelte sie hinter sich, unter sich, schnitt sich gewaltsam seinen Weg durch sie hindurch und ließ sich von ihr tragen, wie das Schiff von der Flut. Erst da konnte von einer Eroberung der Luft die Rede sein. Das Menschenalter voll Arbeit, das mit dem Namen Zeppelin bezeichnet werden kann, ist in der Hauptsache Dilettantismus gewesen. Ein scheinbar einfaches Problem: den vom Auftrieb schwebend gehaltenen Ballon gegen Luftwiderstände mechanisch zu bewegen - wurde mit Tasten und Versuchen durch endlose Mißerfolge nur halbwegs gelöst, und was als apokalyptisches Kriegsungeheuer gedacht war und über ganze feindliche Volksstämme Vernichtung, Todesangst und Verzweiflung ausgießen sollte, eignete sich gerade zu ein paar Theatercoups.

Die Luft ist also erst durch die starrsinnige, konsequeate Arbeit der Motortechniker erobert worden. Aber man kann doch für die alte Luftschiffahrt mit Ballons schwärmen, gerade mie man unter Umständen eine Seefahrt lieber auf einem Segler, als auf einem Paketpostdampfer macht. Als wir am Montag Nachmittag den «Prince Léopold» als silbrig schimmernde Kugel durch das Himmelsblau schweben sahen, stellten wir uns lebhaft vor, welch entzückend großartiges Schauspiel sich den Insassen von dort oben bieten mußte. Über ihnen der wolkenlose ewige Raum, unter ihnen das hingebreitete Land mit Strom und Wald und Stadt und Dorf, mit einem Horizontkreis, wie er uns Erdgebundene so unendlich weit niemals sichtbar umschließt. Und sie fühlten sich getragen von den ruhigen Kräften der allgütigen Natur, der sie sich in den Schoß gesetzt hatten, wie willige Kinder. Nur die langsam unten vorbeigleitende Erde ließ sie merken, daß sie sich bewegten. Sie taten nichts Gewaltsames, um der Ruhe Herr zu werden, um gegen die Trägheit der Luft anzukämpfen, sie fühlten sich wie die Wolke, die langsam und lichtgesättigt ihren Schatten über die Erde zieht. Das müssen Stunden sein, die dem Leben neuen Inhalt geben.

Vor Jahren war das Ballonfahren mehr im Schwang, als heute. Ein Ballonaufstieg war bei öffentlichen Festen eine beliebte Programmnummer. Irgendein Kapitän oder eine Miß flog fahnenschwenkend in die Höhe und ging hinter dem nächsten Wald nieder, und das Füllen des Ballons leitete mit progressiver Spannung zu dem Augenblick über, wo der Kapitän oder die Miß vom Rand der Gondel herab den Befehl gab: Los! Dann sank die pralle Kugel langsam und majestätisch in die Höhe, wenn ich so sagen darf, und alle Augen folgten ihr, bis sie hinterm Horizont als winziges Pünktchen verschwand.

Eine Zeitlang gastierte in der Villa Louvigny eine Luftschifferin aus Köln. Sie betrieb in der Stadt mit dem ewigen Dom, wenn ich nicht irre, eine Spezereiwarenhandlung und übte den Luftschifferberuf als einträgliche Nebenbeschäftigung aus. Wenn sie aufstieg, war es ein beliebtes Spiel, daß sämtliche Nadfahrer der Stadt und Umgegend - sie waren damals noch nicht sehr zahlreich - auf ungefähr in der Richtung des treibenden Ballons losfuhren, und wer zuerst an der Stelle war, wo Miß ..... Miß? - wie hieß sie doch nur? - niederging, hatte gewonnen. Das war eine der aufregendsten Sportübungen, die man dazumal kannte. Einige trieben die Tollkühnheit so weit, den Aufstieg mitzumachen und galten in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis noch Monate nachher als Helden, Lang lang ist’s her!

Die Miß soll übrigens später den Hals gebrochen haben.

TAGS
  • on flying - air
KatalognummerBW-AK-012-2686