Heute vor 397 Jahren, am 22. Juni 1527, starb in Florenz Nicolo di Bernardo dei Machiavellt, der Erfinder des Machiavellismus, dessen Prinzipien er in seinem Buch „Der Fürst“ niedergelegt hat. Er ist dadurch etwas in übeln Ruch gekommen und das Beiwort, das aus seinem Namen gebildet ist, hat eine Bedeutung bekommen, mit der wir diesem Feind und Opfer der Medicäer jedenfalls Unrecht tun.
Es steht nicht fest, ob es um die Welt schlechter stünde, wenn sie nach seinen Grundsätzen regiert würde, als wenn sein bekanntester Gegner, der sogenannte große Fritz, mit seiner Herrschermoralität und seinen politischen Methoden ausschlaggebend wäre.
Machiavelli verdient es, daß man ihm näher zu kommen sucht, und in diesem Betracht ist ein Brief, den er am 10. Dezember 1513 aus seiner Verbannung in Florenz an einen Freund, Francesco Vettori, schrieb, sehr aufschlußreich.
„Ich stehe mit der Sonne auf!“ (mit der italienischen Sonne aufstehen, das läßt sich hören). „Ich gehe in einen meiner Wälder, den ich abholzen lasse, ich bleibe dort zwei Stunden, um nachzusehen, was tags vorher gearbeitet wurde, und um mich mit den Holzknechten zu unterhalten, die immer im Streit liegen, entweder unter sich oder mit ihren Nachbarn ... Aus dem Wald gehe ich zu einer Quelle und darnach zu meinen Leimruten (er fing Krammetsvögel, die er in Käfigen hielt). Ich habe stets meinen Dante oder Petrarca bei mir oder einen von den Dichtern, die sie minores nennen, Tibull, Ovid u. a. m. Dann gehe ich in das Gasthaus, das an der Straße liegt; ich plaudere mit den Passanten, frage sie nach Neuigkeiten aus ihrem Land und erfahre Vielerlei, wobei ich die Verschiedenheit zwischen den Neigungen und Vorstellungen der meisten Menschen beobachte.
Inzwischen wird es Zeit zum Mittagessen; ich esse zuhaus das Wenige, was mir meine arme kleine Villa und mein dürftiger Besitz liefern.
Nach dem Essen gehe ich ins Gasthaus zurück; gewöhnlich finde ich dort den Wirt, einen Müller und zwei Kalkbrenner; ich mische mich für den Rest des Tages unter sie und spiele mit ihnen Cricca und Tric-trac. Es entstehen tausenderlei Wortgefechte, man läßt sich hinreißen, es kommt zu Injurien, und meist regen wir uns wegen eines Hellers auf und man kann uns bis San-Casciano hören. - Auf diese Weise suche ich durch eine vulgäre Lebensart mein Hirn vorm Verschimmeln zu schützen. Ich lasse dem tückischen Mißgeschick, das mich verfolgt, freien Lauf. Es gereicht mir zur Genugtuung, daß es dieses Mittel gewählt hat, auf mir herumzutrampeln, und ich will sehen, ob es sich auf die Dauer nicht schämt, so mit mir umzuspringen.
Abends gehe ich nachhaus, ziehe auf der Türschwelle die bestaubten, schmutzigen Bauernkleider aus und lege Hofkleider oder einen guten Anzug an; anständig angezogen betrete ich sodann das Heiligtum der großen Männer des Altertums; ich werde von ihnen mit Güte und Wohlwollen empfangen und labe mich on dieser Kost, die einzig mir bestimmt ist und für die ich geboren bin. Ich scheue mich nicht, mich mit ihnen zu unterhalten und sie um Rechenschaft über ihre Handlungen zu bitten. Sie antworten mir gütig und vier Stunden lang entgehe ich jeder Langweile, vergesse all meinen Kummer, fürchte die Armut nicht mehr und der Tod kann mich nicht schrecken. ....“
Wer den Menschen Gesetze geben will, muß die Menschen kennen lernen. Machiavelli scheint so gelebt zu haben, daß er seine Menschenkenntnis an den Quellen schöpfen konnte.