Wollt Ihr ein Stück der guten alten Zeit langsam und wehmütig verfallen sehen, so geht nach Walferdingen ins Schloß.
Es war seit Jahren in einer Art Verruf. Es galt als feucht, unbequem, grade gut genug als Notbehelf. Und doch war es die offizielle Sommerfrische, die die Nation ihrem Fürsten verfassungsmäßig zur Verfügung stellte. Es kam zuletzt dahin, daß die Fürsten gnädig auf diese Residenz verzichteten und von da ab wurde das Schloß zum Elefanten, mit dem niemand was Richtiges anzufangen wußte.
Heute ist darin eine Ferienkolonie von Kindern untergebracht. Diese Kinder sind in dem alten Gehäuse wie Bakterien, die langsam aber sicher einen Kadaver in den Kreislauf der Materie hinein liquidieren, bis davon nichts mehr übrig ist. Wo man näher hinsieht, ist leiser Verfall und rieselt der Kalk durch die Risse. Die Steine der Treppenstufen heben sich gegeneinander und machen dem Unkraut Platz, da und dort verblaßt eine Inschrift und erinnert an vergangene Tage schöner Ordnung. Auch die Amerikaner haben hier gehaust, irgendwo steht noch groß Keep out! angeschrieben. Die dort starben, wurden nebenan hinter dem Walferdinger Kirchhof begraben und später heimgeholt.
Die schöne Himmelstochter Ordnung ist hinausgeflohen und wohnt noch bei dem alten Schloßverwalter Witry zur Miete. Bei diesem alten Soldaten atmet noch der Geist der Disziplin und Sauberkeit durch alle Räume. Und er schickt sich an, seine Ruhezeit inmitten der tausend Andenken zu verleben, die er im Dienst unserer Fürsten gesammelt hat. Von dem zierlich eingelegten Blasebalg, mit dem im Osen weiland des Prinzen Heinrich das Feuer angefacht wurde, bis zur Zigarrenpfeife aus kostbarem Wiener Meerschaum, in der Großherzog Adolph seine Totschläger-Importen zu 3 Fr. 75 Cts. das Stück (Vorkriegspreis) rauchte, jede Kleinigkeit strahlt das sanfte Leuchten der Erinnerung an jene Zeiten aus, denen wir heute großmütig, ihrer mannigsachen Schönheit zulieb, allerlei Häßliches verzeihen, bei dessen Unterdrückung so manches Schöne in die Brüche ging.
Nur der Schönheit des Parks konnte die Zeit nichts anhaben. Im Gegenteil, er hat in prangender Herrlichkeit alles Hinfallige überdauert und wird mit jedem Jahr herrlicher. Dies ist der ideale englische Garten, der die großartigste Landschaftsszenerie der Natur verständnisvoll nachschafft, im malerischen Wechsel von Wiese und Wald, mit raffiniert ausgesparten Ausblicken und Überschneidungen, mit wirkungsvoll herausgestellten Baumriesen, die wie mächtige Solisten vor dem harmonischen Chor der Büsche und weniger hoch ragenden Kameraden dastehen, mit geheimnisvollem Buschdickicht, aus dem es füß nach Jasmin duftet, mit geschickt geführten Pfaden und kunstreich gemischtem Bestand.
Dann trittst Du heraus vor das Schloß, blickst über den Hof mit dem runden Springbrunnenbecken auf die gegenüber ansteigenden, walddunkeln Höhen von Bridel und Steinsel und begreifft, warum dieses Fleckchen Erde einst als Fürstenresidenz gelten konnte. Es ist ein wahrhaft großer Zug in diesem Landschaftsbild, und wenn der Bau, statt im Boden zu versinken, aus einer erhöhten Terrasse mit etwas weniger anspruchslosen Formen emporwüchse, so wäre dies ganz sicher einer der schlicht schönsten Herrensitze unseres Landes.
So sinkt der Bau langsam, aber sicher, in sich zusammen und wird zuletzt nur noch ein Häufchen Erinnerung sein. Die aber, die etwa schuld daran wären, daß der Park verschwände oder verschandelt würde, kämen als Verbrecher in die Kulturgeschichte des Luxemburger Landes.