Es gibt in der Welt zwei Einrichtungen, die in scharfsichtigster Weise sich auf die Psychologie der Massen einstellen und in dieser Richtung alle Wirkungsmöglichkeiten raffiniert ausnützen: die katholische Kirche und der Tour de France. Von jener wissen wir es ganz bestimmt, vom Tour de France können wir es alljährlich wieder feststellen. Darum ist beiden so lange Dauer beschieden.
Tatsächlich hat es H. Desgrange sertig gebracht, daß diese klassische Rundfahrt durch Frankreich alljährlich tiefer und nachhaltiger die internationalen Massen in Spannung hält, als meinetwegen eine Präsidentenwahl in Amerika.
Wir kannten den Tour de France lange vor Erfindung des Fahrrads. Schon vor fünfzig Jahren machten unsere jungen Handwerksgesellen ihren Tour de France, auf Schusters Rappen, von einem Meister zum andern.
Dieser Tour de Fraaß, der zur Ausbildung gehörte, wie die Suppe zum Mittagessen, ist uns heute der Tour de Frantz geworden, und ähnlich wird es durch die ganze Geographie hindurch der Fall sein. Wo aus einem Dorf oder einer Stadt oder einer Provinz einer mitfährt, ist er der Stern, der alle überglänzt und nach dem alle Blicke gerichtet bleiben, bis er hinterm Horizont verschwindet.
Was war die Gier, mit der man sich zur Zeit des Dreyfusprozesses um die Zeitungen oder im Krieg beim Kraus um die Generalstabsberichte riß, gegen die Leidenschaft, mit der sich heute alles auf die Nachrichten vom Tour de France stürzt! Henri Desgrange, alter Fuchs, du weißt ganz genau, warum du dich jedes Jahr dieser Fron unterziehst. Die paar hundert Radlerbeine, die in diesen heißen Tagen Frankreich durchstrampeln, strampeln für dein Blatt, strampeln dir zu Ehren und «L’Auto» ist in diesen Tagen das gesuchteste Papier von Europa.
Ich habe mir vorgenommen, an einem der nächsten Tage nach Mamer zu fahren, Material für eine Biographie von Frantz zu sammeln und die Stelle auszusuchen, wo dereinst sein Denkmal stehen soll. Zu meiner tiefen Beschämung muß ich gestehen, daß ich unsern Nationalheiligen erst ein einziges Mal gesehen habe. Er ist ein sympathischer junger Mann, der draußen mit Glück für uns Zeugnis gibt. Er ist ein frisches, kerngesundes Bauernblut und wird es hoffentlich bleiben, wohin auch seine Radlerlaufbahn ihn verschlagen mag. Wir sind mit Recht stolz auf ihn. Die Starken sagen ruhig: Er ist unser! Und die Schwächlinge werfen sich in die Brust und sagen: So sind wir am ganzen Körper! Es wird schon ein Triumph vor Europa sein, wenn Frantz bis zum Ende durchhält. Sollte er aber das Rennen machen, dann wäre das Land für all die Begeisterung dann bestände die Gefahr, daß der arme Frantz bei seiner Rückkehr erdrückt würde.
Als unsere jungen Landsleute Franz Heldenstein und Jacoby sich beim Kunstwettbewerb der Olympischen Spiele in Paris an erster Stelle auszeichneten, krähte kein Hahn darnach.
Sehen Sie, wir haben noch eine, schöne Zukunft vor uns.