Original

3. Juli 1924

Gesicht ist Gesicht, glaubt Ihr. Eins ist wie’s andere, bei Katzen und Negern zum Beispiel jedenfalls, höchstens laßt Ihr Unterschiede gelten bei den Angehörigen hochkultivierter Rassen, und auch die seien, sagt Ihr, nicht erheblich, wenn man nicht gleich an Extreme denkt, wie die Bepp von Simon im „Gukuk“ und die Dame, die bei der Schönheitskonkurrenz den ersten Preis bekommt.

Zunächst ist es falsch, daß alle Katzen und Neger sich gleichen. Die Unähnlichkeit bei Katzen zum Beispiel ist noch viel auffälliger, als bei Menschen, denn bei Katzen besteht nicht der Drang, sich einem Typ unterzuordnen. Kater lassen sich nie glatt rasteren, um den gemeinsamen Zug ins Amerikanische zu bekommen.

Sieh einmal um Dich herum: Zwei Menschen, die nach Alter, Geschlecht, Lebenslage, Schicksal, sogar nach gegebenen äußeren Gesichtsformen sich ähnlich sehen müßten, weisen in ihrer Mienensprache (Unterschiede) auf, die oft größer sind, als die zwischen einem Puma und einem Mitglied irgendeiner Akademie.

Das liegt am Mund, besonders aber an den Augen. Dies ist eine Binsenwahrheit, wie ich mir sofort bewußt bin. Indes glaube ich eine Entdeckung gemacht zu haben, die meinen Lesern bei der Erweiterung ihrer Menschenkenntnis vielleicht Dienste leisten kann: die Tatsache nämlich, daß man auf den Charakter eines Mannes nach den Augen seiner Geliebten schließen kann. Oder sagen wir auch nur Freundin, weil die jungen Leute von heute keine Geliebten mehr, sondern nur noch Freundinnen haben.

Peter und Paul - so wollen wir sie nennen - zwei hoffnungsvolle Jünglinge, fahren mit ihren Freundinnen auf einen Sonntagsausflug ins Ösling. Ein glücklicher Zufall führt sie in Dein Abteil. Du siehst zwei junge Mädchen von dem angenehmen Typ, den der Kampf ums Dasein herausgebildet hat. Hübschheit gehört für sie zu den Waffen im Kampf ums Dasein, also sind sie hübsch. Sie beleben. Banken, Kauf- und sonstige Geschäftshäuser, Kontore, Schreibstuben und halten im trocknen Ernst des Erwerbslebens das Gleichgewicht nach der Seite der Schönheit.

Und trotzdem beide diesem Typ entsprechen, kommst Du sofort hinter den Unterschied. Er liegt in den Augen, und da sich jeder Mann zu allererst in die Augen verliebt - im Kino sind daher die gesuchtesten Heldinnen die, die am vernehmlichsten „mit die Oogen klappern“ - so weißt Du gleich, wie Du mit Peter und Paul dran bist.

Peters Freundin hat ein Paar mörderische Augen von der Farbe des schwarzen Kaffees, den Du im Glas gegen das Licht hältst. Diese Augen können nicht schmachten, nur sachen. Dann kneifen sie sich zusammen, daß die Lustigkeit durch den schmalen Schlitz nur so herausspritzt. Sie schießen ihre ausgelassenen Blitze, wie gekniffene Finger Kirschkerne schnellen. Ich habe den Peter demnach im Verdacht, daß er ein ruhiges, behäbiges, erdenschweres Gemüt hat, das zum Kopfsprung ins Vergnügen einigen Vorspann braucht, dann aber sicher seinen Mann steht. Einfach das Gesetz der Durchschnitte.

Die Augen der andern sind groß, graublau, erstaunt, hittend und gewährend. Do ut des Augen. Zwei, tiefe Brunnen, in die von hoch oben der klare Himmel hineinscheint und in die ein junger Mann ahnungslos kopfüber hineinstürzt, nicht wissend, was ihn unten erwarten mag. Diese Augen sind auch lustig, aber von einer sanftmütigen, veilchenblauen Lustigkeit. Anscheinend mehr passiv, aber zu allem bereit und gefügig. Demnach wäre der Paul ein lebhafter junger Mann voll Initiative, den diese magdliche Art als höchster Reiz der Weiblichkeit entzückt und glücklich ergänzt.

Vielleicht schreiben mir aber auch die Besitzerinnen der beiden Augenpaare: „Herr Redakteur, alles gar nicht! Grade umgekehrt. Der Peter ist der andere und der Paul der eine.“

Das kann ich dann noch immer glauben, wenn ich will.

TAGS
  • physionomy
  • 'races'
KatalognummerBW-AK-012-2696