Original

6. Juli 1924

Vor Monaten war hier über ein Buch von Dr. Ferdinand Ossendowski: „Tiere, Menschen und Götter“ berichtet. Es enthält die Schilderung der Abenteuer, die der Verfasser auf seiner Flucht vor den Bolschewiki durch Tibet und die Mongolei zu bestehen hatte, und machte großes Aufsehen. In einem Vorwort dazu sagte Mr. Lewis Stanton Palen einer der besten Kenner Ostasiens in den Vereinigten Staaten, auf dessen Anregung hin Ossendowski sich zur Niederschrift seiner Erlebnisse entschlossen hatte: „.... Die Aufeinanderfolge von ergreifenden und aufregenden Erlebnissen, die in dem Buche erzählt werden, scheint stellenweise zu stark gefärbt zu sein, um wirklich und gar in dieser Zeit und dieser Generation möglich sein zu können. Ich möchte deshalb dem Leser von vornherein die Versicherung geben, daß Dr. Ossendowski ein Mann von langjähriger und verschiedenartiger Erfahrung als Gelehrter und Schriftsteller ist, daß er über die Ausbildung eines sorgfältigen Beobachters verfügt.“

Jetzt erscheint von Dr. Ossendowski ein neues Buch „Schatten des dunklen Ostens“ (Eurasia, Theater-, Konzert- und Verlagsgesellschaft, Wien, 1924). Und in erhähtem Maße hat man des Empsinden, daß die dort geschilderten Zustände und Begebnisse „zu stark gefärbt und in unserer Zeit kaum denkbar sind, und man braucht noch notwendiger die Versicherung, daß man es im Verfasser mit einem wissenschaftlich gebildeten Menschen und geschulten Beobachter zu tun hat, der nicht von vornherein den ganzen Inhalt des Buches auf die Rechnung der Phantasie und mindestens starker Übertreibung zu setzen.

Daß wir über Rußland nicht viel Zuverlässiges wissen, ist eine Binsenwahrheit. Das Meiste, was veröffenlicht wurde, ist partelisch stark gefärbt und das Tatsächliche aus den Vorgängen jener Zeit in der sich die Umwälzung noch vom hentigen Regime vollzog, wird wohl in seiner ganzen Wahrheit und Klarheit niemals oder sehr spät ans Licht kommen. Zu begrüßen ist es daher, wenn jemand, der die Verhältnisse persönlich kennt, seine Beobachtungen mit dem Willen des Wissenschaftlers zur Wahrheit niederschreibt und so ein Material liefert, an dem sich anderes Material nach läßt.

Charakterzüge seines Lebens und seiner Psychologie, gradezu an die Unglaublichkeit grenzend, sollen enthüllt werden.“ ...

„Meine Überzeugung ist es, daß die zivilisierte Menschheit bald gezwungen sein wird, nach Rußland zu gehen ..... mit dem Willen, ein Volk wieder fähig zu machen, das seine Bestimmung verloren, seine Ehre und sein Vaterland, mit solchen Absichten muß die Menschheit nach Rußland kommen.“

Diese paar Sätze aus dem Vorwort deuten hinlänglich die Tendenz des Buches an.

Stofflich hält der Verfasser, was er verspricht. Den besten Begriff vom Inhalt geben die Kapitelüberschriften: Aus dem Dunkel des russischen Dorfes. - Die Schatzgräber. - Die Wahrsager. - Die Hexen. - Die Giftmischer. - Der Schamanismus. - Das Heidentum, - Der primitivste Gott. (Dieser Gott ist ein in eine Wand gebohrtes Loch, durch das ein wenig Licht in die dunkle Hütte fällt!) - Die alten Götter im christlichen Kult. - Opferblut. - Im Zeichen des Antichrift. - Mutter und Kind. - Ein Bürgermeister aus Tomsk. - Die weißen Schwäne. - Schrecken des Meeres. - Im Sumpfe der Paläste. - Rasputin. - Menschen aus dem Nachtasyl. - Die Burlaken. - Gespenster der Revolution. - Das Ende der Romanow in der mystischen Bewegung. - Der neue Zar des

Das Kapitel über Rasputin zum Beispiel ist nach unsern Begriffen eine Zusammenstellung von richtigen Ungeheuerlichkeiten: Dieser Bauer und Pferdedieb, Gewohnheitssäufer und Wüstling, der als heiliger Greis, geisilicher Vater, Wundertäter und Wonnespender den Höchsten im Reich, darunter der Zarin, den Kopf verdreht, das ist eine Erscheinung, die uns wie nichts anderes klar macht, daß Rußland mit einem uns unbekannten Maß gemessen werden muß.

Die Einzelheiten, die Ossendowski über die Ermordung der Zarenfamilie in Jekaterinburg mitteilt, hat er aus dem Munde eines gewissen Jurowski, dessen Bruder im Keller des Hauses Ipatjew den ersten Schuß auf den Zaren abgab. „Er gibt damit das Zeichen zu einer wüsten Schießerei, die nur die Zarin überlebt. Zu Tode getroffen erhebt sie sich vom Boden, reißt ein Kissen vom Bette des Wächters und sich damit schützend schreit sie fürchterlich auf. Da stößt ihr der einzige russische Soldat unter den Finnen und Magyaren sein Bajonett durch das Kissen in die Brust und tötet sie. Am frühen Morgen werden die Körper zerstückelt in den Wald gebracht, mit Petroleum begossen und verbrannt.“

So grauenhaft sich das liest, es wird übertroffen und in seiner Wirkung abgeschwächt durch das Gesamtbild, das dieses Buch Ossendowski’s von dem zaristischen Rußland entwirft.

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KatalognummerBW-AK-012-2699