Original

13. Juli 1924

Ich habe eine Umfrage über eventuelle Verlegung unseder Herbstferien veranstaltet. Veranlassung dazu gab mir eine zärtliche Mutter, die über die Schulfron ihres Söhnchens in diesen heißen Tagen lamentierte. Der arme Kerl steigt als Quartaner ins Übergangsexamen, und stellen Sie sich bitte vor, was er da alles bei 30 Grad im Schatten zusammenochsen muß.

„Ich könnts weinen, so leid tut mir der arme Junge. Anderswo läßt man die Kinder während dieser heißesten Zeit des Jahres zuhaus. Ist es nicht Tierquälerei, sie bei diesen Spitzentemperaturen in dumpfe Säle zu pferchen und ihre Hirne vor Anstrengung überkochen zu lassen! Drucken Sie es unbedingt in die Zeitung!“

Ich wandte mich demgemäß an drei Stellen mit der Frage, ob unsere Herbstferien in den Sommer zu verlegen seien: Einen Pädagogen, einen alten Herrn und einen jungen Pennäler.

Der Pädagoge antwortete mir:

Ich halte die Verlegung für unangebracht. Es müßte auf den jugendlichen Geist demoralisierend einwirken, wenn für die Schülerschaft inmitten der allgemeinen Betriebsamkeit ein verweichlichendes Capua geschaffen würde. Der Landwirt steckt in dieser Zeit in der Arbeit bis über die Ohren, die Industrie hat ihre Tätigkeit, falls keine Tiefkonjunktur herrscht, bis zum Äußersten angespannt, sogar für das Parlament hat die schöne alte Sauregurkenzeit vollständig aufgehört. Wäre es nicht gradezu verderblich für den starken Jüngling, wenn er sich in dieser Zeit des Hochbetriebes in ein süßes Nichtstun versetzt sähe, wenn er träge und ziellos durch Wald und Feld schlendern müßte, während der Bauer über seinem Acker schwitzt, der Briefträger halb verschmachtet unter seiner Last die Straße dahinzieht, der Straßenwärter schweißüberronnen das Gras aus den Sommerwegen schürft, der Arbeiter verdrossen, seinen Blechtopf lässig schwenkend, den rauchenden Schloten entgegenzieht - müßte da nicht von klein auf die Psyche der studierenden Jugend vom dem Gedanken der Demokratie und Solidarität wegerzogen werden? Nein, lassen wir es bei unsern alten Herbstserien!“

Der alte Herr schreibt:

„Sie mögen es einrichten, wie sie wollen, ich halte für meine Ferien an August und September fest. So weit ich zurückdenke, waren das die Monate, in denen ich, jeder Fron entronnen, Mensch, nur Mensch sein durfte. Die Tage begannen mit leichtem Nebel und über den Nebel stieg dann die Sonne und vergoldete mir die Welt. Es war nicht jeden Tag so, aber so leben in meiner Erinnerung die Ferien. Ihr könntet mich von Weihnachten bis Pfingsten auf Urlaub schicken, so hätte ich nicht das Gefühl, in Ferien gewesen zu sein. Das Ausspannen im August oder September erscheint mir als etwas durchaus Normales Ich käme mir vor, als in die ärgste Sklaverei versetzt, wenn ich zur Zeit, wo die Mirabellen und Nüsse reifen, keine Ferien hätte. Zu jeder andern Jahreszeit habe ich den Drang nach der Berufsarbeit, und setze ich irgendwie aus, so werde ich anhaltend von Skrupeln gepeinigt, eine innere Stimme sagt mir: „Du Faulpelz, du solltest arbeiten, statt zu feiern!“ Die Arbeit nimmt für mich das Gesicht einer treulos, verlassenen Gattin an. Aber im Herbst, da bin ich faul ohne Gewissensbisse, da ist das Müßiggehen die Norm, ich bin - wie soll ich sogen, wie ein getrösteter Witwer, der nicht mehr zu fürchten braucht, daß ihn daheim die Enädige mit Gardinenpredigten empfängt. Für mich gibt es keine Ferien außer August oder September - am liebsten August und September.

Der Pennäler det sein Gutachten in folgende Worte!

„Wenn das heiße Wetter eine Plage ist, so habe ich viel lieber, daß es mich bei der Arbeit stört, als beim Vergnügen hemmt. Also klegt es auf der Hand daß wir unsern Ferien lieber in einer Zeit haben, wo wir sie aktiv auskosten und nicht nur passiv genießen können.“

Ich muß mich leider gegen die zärtliche Mutter auf die Seite dieser drei Gutachter stellen. Wenn der wackers Bauernsohn Frantz der luxemburger Jugend unter der Sonne der Pyrenäen mitten im Juli mit so leuchtendem Beispiel die steilsten Berge hinauf voranstrampelt sollten wir uns schämen, diejenigen zu bedauern, die in diesen Tagen über ihren Büchern und Heften auch ein klein wenig schwitzen wüssen.

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