Original

17. Juli 1924

Der Zufall hat im Früh-Auto am Bahnhof Capellen eine bunte Gesellschaft zusammengewürfelt: Männer aus dem Kanton, mit dem erdenschweren, abgewogenen Wesen, das Braunshausen in dem letzten Heft der «Cahiers Luxembourgeois» un ihnen schildert, ein paar junge Mädchen, die von der Kirschenkirmes von Blascheid zurückkommen, der Herr Briefträger, der den von seiner jungen Nachbarin angebotenen Sitzplatz galant zurückweist, ein Herr Pfarrer mit einem schelmischen Knabengesicht voll halbgrauer Bartsteppeln, die Köchin eines Confraters, die sich mit Hochwürden redefreudig und respektvoll unterhält, später, von Körich aus, die Beerenpflückerennen, die mit keuchtenden Augen in den Tag hineinziehen, einen Tag, der für sie erfüllte Arbeitspslicht und doch ist der Freiheit und des Schwärmens bedeutet.

„Was ist denn dies, Fräulein?“

„Dies ist Götzen.“

Und dies?“

„Dies ist Göblingen, wo der Herr Braun herstammt.“ .....

In Tal steht auf einmal die Pumpstation der Interkommunalen wie ein elegant gestochener Stempel, den Industrie und Forischritt der idyllischen Landschaft aufgedrückt hoben. Die lieblich Geschwächtheit des Montagmorgens liegt in der Luft. Die Sonne sticht, ein frisches Lüftchen weht tröstlich durch die Schwüle. Die Eisch liegt in tiesem Bett zwischen den Wiesen wie ein blaugrünes Märchengeheimnis, das alle paar Hundert Meter von einer Bachschnelle mutwillig ausgeplandert wird. Die schweren Forellen stehen drunten im Schatten, neben dem grünen Nixenhaar, das von der Strömung sanft gestrählt wird. Sie verhalten sich ablehnend gegen alle Leckerbissen, die ihnen der Fischer tückisch präsentiert. Jeder Zoll ein heiliger Antonius, der die Versuchung an sich abgleiten läßt. Denn sie haben in der mondlichten Nacht Orgien gefeiert. Wird der Heuschreck gar zu zudringlich, so wechseln sie mit einem unsäglich verächtlichen und nonchalanten Schwanzschlag langsam ihren Standort: „Herr, merken Sie denn garnicht, wie Sie mir lästig fallen! Lassen Sie mich bitte endlich in Ruh mit Ihrem einfältigen Gezippel und Gezappel!“

In der Wiese steht ein großer, blaugrüner Tümpel, als hätte die Eisch sich besonnen, ob sie überhaupt weiter fließen soll. Daran eine der alten Höckerbrücken, wie sie in der Gegend so häufig sind. Uralte Ziersteine sind mit in die Geländermauer gefügt. Erlen überschatten das ehrwürdige Bauwerk.

Der blaugrüne Miniatursee lockt mit seiner kühlen Tiefe und liegt da wie ein Labsal im Sonnenbrand. Aber wie tragisch dann er werden, wenn Stürme die sahlen Erlenblütter über seine aufgeregte Fläche peitschen oder wenn in unheimlichen Nächten Verzweiflung über die Felder irrt!

Simmern, sieben Brunnen. Es sind sicher mehr, als sieben. Aber wenn es viele sind, sagt man eben sieben, siebzehn, siebenunddreißig. Aus diesem Tal saugt eine ganze Gegend sich satt. Hier läßt der Herr seine köstlichsten Brünnlein fließen. Die dummen Menschen wissen es manchmal nicht besser und bauen ihre Wohnstötten dahin, wo die Brüste der Erde trocken sind. Dann müssen sie später eben Wasserleitungen schaffen: Eine Pumpstation ins Eischtal und ein Reservoir auf den Reberg, um das Verteilungssystem unseres lieben Herrgotts zu verbessern. Die Simmerner woren klüger. Sie bauten sich um die sieben Brunnen herum an. Einer war sogar so klug - der Urgroßvater Mersch -, daß er sein Haus direkt über eine Quelle baute. So braucht sein Urenkel, der heute in dem gastlichen Hause wirtschaftet, kein Eis von der Brauerei, er stellt sein Faß Bier im Keller mitten in die sprudelnde Quelle und seinen Brauneberger und Wiltinger kühlt er dito in dem Bronnen, der tief aus dem Sandsteinfilter quillt.

Wer also in den heißen Huntstagen gut und hl leben will, der geht ins Tal der sieben Brunnen, der geht nach dem waldumgrünten Simmern und findet, daß eine der schönsten Sommerfrischen unseres Ländchens die Simmerfrische ist.

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KatalognummerBW-AK-012-2708