Das Frantzfieber ist am Abflauen. Aber es ist nicht zu spät für einige Feststellungen, die dem allerhand Gerede über Herkunft und heimische Verhältnisse des erfolgreichen Rennfahrers gegenüber der Wahrheit die Ehre geben sollen.
Eine dieser Feststellungen ist die, daß man es durchaus nicht mit einem abenteuerlichen Draufgänger zu tun hat, sondern mit einem sehr solide veranlagten Temperament, einem jungen Mann, der genau weiß, was er will, und der auf der Grundlage starker bäuerlicher Atavismen auf diesem immerhin ungewöhnlichen und nur für Wenige gangbaren Wege ein Fortkommen sucht, das er in so raschem Aufstieg in seiner heimischen Umwelt nicht gefunden hätte. Hier ist ein Auftrieb, bei dem Kurzatmigkeit nicht zu befürchten ist, denn er kommt aus tiefer Veranlagung und nachhaltiger Qualität.
Wir wollten wissen, wo er zuhause war, und gingen in sein Elternhaus. Es liegt von der Staatsstraße einige fünfzig Meter rechts einwärts, am Weg nach Kopstal. Es ist ein stattliches, sauberes Bauernhaus, das auf den ersten Blick Ordnung und Wohlstand verrät. Dahinter liegt ein geräumiger Hof mit ziemlich weitläufigen Wirtschaftsgebäuden, links eine kleine, aber sehr ordentlich gehaltene Reparaturwerkstätte für Fahrräder.
Die Eltern sind echte, starks Bauernrasse. Der Vater, angehender Sechziger, hat das gesunde, hanlle Gesicht des Freiluftarbeiters, bei dem Herz und Magen. Kessel und Maschine nie versagen. Züge von behäbigen Magerkeit, die sich vortrefflich mit einer guten Kost verträgt Solche kupferrote, Indianische Gesichtsfarbe haben nur die Glücklichen, in deren Adern ein kerngesunder Saft kreist und deren Herzen diesen Lebenssast stark und regelmäßig an die Peripherie hinauspumpen.
Natürlich waren wir auf die Mutter neugierig. Sie ist ungefähr vom selben Alter, wie ihr Mann, kleiner, im Äußern ein Produkt lebenslanger Arbeitsbereitschaft, voll eines lebhaften Humors, der sich in fröhlicher Rede ausgibt. Keine von Elegie, Kopfhängerei, Sentimentalität. Der Frohsinn, der den Grundzug ihres Wesens ausmacht, gräbt ihr in das gütige Gesicht gemütliche Lachsalten. Wenn sie spricht, spricht sie so, daß man es bequem über den Hof hinüber hören kann. Sie erzählt lachend, wie sie in Metz am Tisch saß, wo die Helden des Tour de France beim Einlaufen unterschreiben mußten. Sie krizelten nur so was hin, was niemand lesen konnte, sagte sie. Ihr Nick sah sie nicht, aber sie bekam darob keine Mater dolorosa-Anwandlungen. Sie lachte, während sie beschrieb, wie er so mager und so braun geworden war. Am meisten aber tat ihr leid, daß die armen Kerle so sehr schwitzten und sich den Schweiß nicht abwischen konnten. Und auch während es ihr leid tat, lachte sie übers ganze Gesicht.
„Kommt herein, wir trinken einen Patt zusammen,“ lud uns der Vater ein. Aber wahrhaftig, wir hätten uns geschämt, an dem Sonntag Mittag, wo weit dahinten zwischen Dünkirchen und Paris der Sohn im Sonnenbrand über seiner Lenkstange schwitzte, mit dem Vater unter den Trophäen vom Tour de Belgique den kühlen Trank zu schlürfen, nach dem der andre lechzte.
Wir nahmen Abschied mit dem Bewußtsein, daß der Frantz, für den sich seine Heimat einen Monat lang so glühend interessiert hat, aus seinem Elternhaus und Elternblut alles mit bekommen hat, was einer braucht, um in der weiten Welt seinen Weg zu machen, und daß es mit merkwürdigen Dingen zugehen müßte, wenn er nicht auch weiterhin seinem Ursprung Ehre und seiner alten Mutter Freude machte.