Original

1. August 1924

Am 19. Juli 1914 hatten wir einen Ausflug auf die Schlachtfelder um Metz gemocht und in Metz die Zähigkeit bewundert, mit der französisches Wesen sich dort gegen die Gleichmachungspolitik des Eroberers behauptet hatte.

Damals war uns Siebzig noch der große Krieg, die Schlachtfelder von Gravelotte, Mars-la-Tour, St. Privat waren für uns grausig geweiht als die gewaltigsten Schauplätze des Kriegswahnsinns. Man glaubte noch nicht daran, daß der Mord von Serajewo den Weltfrieden ins Herz getroffen hatte. Die Sorge um das Schicksal der Frau Caillaux durchdrang beim jedesmaligen Eintreffen der letzten Nachrichten aus Paris die ganze zivilisierte Welt und ließ kaum Platz für andere Interessen. Folgende Sätze durfte man damals noch im Vertrauen auf die Vernunft der Völker schreiben:

„Drei, vier Menschen, die an den Schalttafeln des Schicksals saßen, hatten „Krieg“ eingeschaltet, und Hunderttausende mußten verbluten und verröcheln.

„Man hat gut sagen: Das geht nicht anders! Völker, Rassen! Wenn der Krieg nicht im großen organistert wird, haben wir morgen wieder im kleinen den Krieg aller gegen alle.

„Strett um den Futterplatz!

„Aber man soll einmal beweisen, daß und wo irgendein Volk in seiner Gesamtheit das Bedürfnis nach Dreinschlagen, nach Krieg empfunden hat.

„Ja, aber die Großen, die heller und weiter sehen und ihr Volk auch groß und mächtig machen wollen?

„Die sollten einmal darauf sinnen, wie sie das könnten, ohne ein anderes Volk klein und ohnmächtig zu machen und die Länder mit Blut zu düngen.

„Vögel und Bienen haben ihnen auf den Schlachtfeldern von Mars-la-Tour und St. Privat eine kluge Lehre gegeben.

„In Mars-la-Tour hat an dem französischen Kriegerdenkmal ein Bienenschwarm sich in den heimeligen Tiefen des einen Bronzereliefs eingenistet und baut eben seins Waben dem Pferd des todwunden Generals de Cissey auf die Croupe.

„Und in St. Privat haben Spatzen dem brüllenden Löwen, der im Ostende des Dorfes auf seinem hohen Postament steht, ihr Rest in den dräuend geöffneten Rachen gebaut.

„Es ist, als hätten Friede und Betriebsamkeit auf den Krieg einen Witz machen wollen.“

Zwei Wochen später war das Gewitter losgebrochen, von dem das Angesicht der Welt verändert werden sollte.

Heute jährt es sich, daß die erste Welle jener verruchten Sturmflut an unsern friedlichen Strand schlug. Heute vor zehn Jahren, Samstags nachmittags, waren preußische Offiziere in Automobilen in Ulflingen eingetroffen und hatten den Bahnhof besetzt. Warum sie sich wieder zurückzogen, ist noch nicht restlos aufgeklärt. Der Rückzug hatte keine Bedeutung, da um dieselbe Stunde das Gros des Aufmarschs sich schon nach unserm Land in Bewegung setzte. Und über vier Jahre lang wüteten im Herzen der Kulturwelt die schlimmsten Mächte, die noch bis heute nicht zur Ruhe gekommen sind.

Das alles, weil in Sarajewo ein verrückter Bursche den österreichischen Thronfolger und dessen Gemahlin ermordet hatte.

Wie schön hätten es heute wieder die Kriegsschürer, nachdem die persischen Mörder des amerikanischen Konsuls Major Imbrie ihnen denselben Vorwand zum Losschlagen geliefert haben!

Aus allem Lärm des Kriegs und Nachkriegs höre ich eine Weise klingen. Als ich an jenem Samstag Abend vor dem Einbruch der deutschen Kolonnen nachhaufe ging, feierte ein junger Mann im Kasino seinen Junggesellenabschied im Kreise fröhlicher, sehr fröhlicher Genossen. Und schon von weitem hörte ich sie den „Feierwon“ singen.

Der Wunsch, den sie leidenschaftlich im Refrain in die Nacht schickten, ist in Erfüllung gegangen.

Das ist heute im Gedanken an alles Kriegselend der Trost, der uns bleibt.

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