Ich begegnete einem Mann, der an die Allmacht der Presse glaubt.
Warum es leugnen? Man ist geschmeichelt, dergleichen zu hören, obgleich man weiß, daß dieser Glaube auf Täuschung beruht. Die Macht der Presse scheint sich immer mehr auf die Annoncen zu konzentrieren, weil da der Widerspruch die Neutralisierung ihrer Aussagen durch das geg den nlauteen Weltbewerb ausgeschlossen sind. Die politische Presse aber bietet das Schauspiel der beiden Löwen, die sich gegenseitig bis auf die Schwanzquaste auffressen. Da kann von Macht schwerlich noch die Rede sein. Wenn die grüne Partei in ihren Blättern verkündet, die gelbe Partei sei ein Sammelsurium von Beutelschneidern, so läßt die gelbe Partei in ihren Blättern ausposaunen, die Grünen seien alle- samt Kelchdiebe. Das gleicht sich aus. Und das Publikum besieht sich lächelnd die übriggebliebenen Schwanzquasten. Wo bleibt da die Macht?
Wenn nun trotzdem ein Mann an die Allmacht der Presse glaubt, so möchte ich ihm nicht widersprechen. Im Gegenteil, ich biete gerne die Hand zu dem Experiment, zu dem er mich aufgefordert hat.
Es handelt sich keineswegs um eine politische, wenn auch um eine öffentliche Angelegenheit. Eine überaus öffentliche, sogar. Nämlich die Uhr in der Bahnhofhalle von Luxemburg.
Eine Uhr hat bekanntlich den Zweck, die Zeit anzuzeigen. Darum muß sie so angebracht sein, daß man sie sehen kann. Ein unsichtbares Zifferblatt ist so zwecklos, wie Brombeeren, die ungepflückt im Wald umkommen.
Dies gilt von einer Bahnuhr noch viel mehr, als von allen andern Uhren.
Wir haben zwei Bahnuhren. Die eine, die vom Wurm herab draußen die Stunden kündet, die andere, die drinnen hängt. Allem Anschein nach dachte der Baumeister: Wer dem Bahnhof zueilt, steht draußen die Uhr, er weiß also Bescheid und braucht drinnen nicht nochmals auf die Uhr zu sehen.
Deshalb brachte er im Innern die Uhr so an, daß tatsächlich niemand die Zeit davon ablesen kann, wenigstens nicht bei Tage.
Obiges Räsonnement des Bahnhofbaumeisters ist lückenhaft. Es gibt zum Beispiel Reisende, die über einem guten Diner in der Bahnrestauration längst vergessen haben, was die Uhr draußen zeigte und die in der Halle ihre Uhr nach der Bahnzeit richten möchten. Unmöglich, zumal vormittags, wenn die Sonne grade hinter der Uhr steht. Diese hängt nämlich zwischen den hellen Fenstern, die für die Halle die Hauptlichtquelle darstellen, und der Beschauer ist derart geblendet, daß er die Uhr kaum sieht, geschweige denn die Stellung der Zeiger darauf unterscheiden kann.
Als ich nun kürzlich unter allen möglichen Kopfverrenkungen und Abblendungsversuchen trotzdem dieser Uhr ihr Geheimnis zu entlocken trachtete, sagte der eingangs erwähnte Mann, ich sollte doch mal in die Zeitung schreiben, die Uhr müßte anders angebracht werden, am besten inmitten der Halle, wo man sie bequem von allen vier Seiten sehen könnte. Und er wußte gar von einem Fall zu erzählen, wo eine ähnliche Reform in der Zeitung verlangt wurde und nach vierzehn Tagen schon durchgeführt war.
Ja, wenn sie bei der Bahn solche maßgebende Stellen haben, die sich wirklich etwas daraus machen, wenn die Zeitungen im Namen des Publikums etwas verlangen, dann allerdings. Dann ist es ja auch nicht ausgeschlossen, daß die Bahnhofuhr noch einmal ihren Zweck erfüllt.
Aber die Presse ist dafür bezahlt, skeptisch zu sein - bis zum Beweis des Gegenteils.