Der Sucht des Menschen, über Zukunft, Wetter, Seinesgleichen, Kurse von übermorgen, Tut-ankAmon, Leben auf dem Mars, kurzum, über Alles genau Bescheid zu wissen, - dieser echt menschlichen Sucht kommt nichts so sehr gleich, wie der ebenso echt menschliche Trieb, sein Schicksal dem Ungewissen, dem Zufall anheimzugeben.
Er, der nach Klarheit und Wahrheit giert, findet nichts so verlockend, wie im Trüben zu fischen.
Daraus sind die Hazardspiele und Lotterien entstanden. Baccarat und Skat haben die Welt erobert, Schach ist das Spiel einer winzigen Elite geblieben.
Das gesündeste und billigste Hazardspiel ist das Fischen, Schon weil es nicht in rauch- und alkoholund parfumgeschwängerten Räumen geübt wird. Und dann auch, weil der Zufall dabei nicht menschlichen, sondern natürlichen, kosmischen Ursprungs ist.
Gemeint ist nicht das eigentliche Sportfischen, bei dem der Fischer mit Kunst und Tücke den Zufall korrigiert, der Beute nachstellt, sie sozusagen bis in ihren letzten Schlupfwinkel verfolgt und nicht wartet, bis es dem Berg gefällt, zum Propheten zu kommen. Sondern das behäbige, sitzende und nervenstärkende Fischen mit dem Wermchen, dem gekochten Weizen oder Haussamen, oder mit Kirschen, Zwetschgen, Traubenbeeren, geronnenem Blut und andern noch unappetitlicheren Ködern.
Dieser Fischer wird vom Zufall herumgestoßen, wie die Kugel, die zwischen aufrechten Drahtstiften über ein schiefes Brett mit numerierten Löchern rollt und von Nummer 1 abprallt, um auf Nummer 100 zuzufliegen und unversehens in Nummer 27 zu landen.
Der erste Zufall heißt Wetter. Die ganze Woche hindurch steht der kommende Sonntag vor dem Fischer wie ein großes Wetterfragezeichen.
Ist diese Frage gelöst, so naht die andere: Werde ich meinen Lieblingsplatz oder meine Lieblingsplätze noch frei finden, oder wird schon ein Usurpator mir zuvorgekommen sein, werde ich mit der minderwertigen Nachbarkrippe vorlieb nehmen und zusehen müssen, wie dieser zudringliche Kerl einen Fisch nach dem andern ländet? Meine Fische, die ich sorgfältig angefüttert hatte, die doch nur meinetwegen gekommen waren, um sich von mir und keinem andern sangen zu lassen!
Und zuletzt die quälende Ungewißheit: Womit soll ich angeln? Worauf „gehen“ sie heute am besten? - Natürlich gehen sie immer am besten auf den Köder, den der Fischer grade heute nicht mit hat.
So sieht man sie stehen und sitzen, die Mosel und Sauer entlang, Gerte an Gerte, auf den Krippen und zwischen den Krippen, ein rührendes Sinnbild der Hoffnung und des Gottvertrauens. Sehnsüchtig strecken sie die Bambusrute hinaus, ihre Sehnsucht schlingt sich wie ein Efeu die Gerte und die Schnur entlang, bis zu dem leichten Kiel mit rotem Köpfchen, an dem das Schnurende schwimmt. Und hinauf und hinab und hinüber dehnt sich der glitzernde Spiegel, unter dem das geheimnisvolle, stumme Leben der Tiefe spielt, zuweilen steigt es quirlend herauf, wenn das Wasser auf dem Grund um einen Stein einen Strudel dreht, oder eine lufthungrige Barbe entschnellt sich mutwillig ihrem Element, und das Niederklatschen füllt das Herz des Fischers mit ohnmächtiger Beutegier. Aber die Gier wird rasch wieder zu geduldigem Sehnen, der Fischer steht gefaßt und wartet und wartet - wartet auf das Große, das plötzlich vielleicht in Gestalt eines handlangen Rotäugleins in die Erscheinung tritt, wartet den ganzen Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr, das ganze Leben. Die geübtesten Hoffer und Harrer auf Erden sind diese Angelfischer, sie sind in einer wunderbaren Geduldschule, und ein richtiger Angelfischer ist immer ein Philosoph. Bald „gehen“ die Fische, bald „gehen“ sie nicht, das läßt sich nicht erzwingen, niemand weiß, wovon es abhängt, einer glaubt an den Wind, der andre ans Wetter, an Sonne, Mond, Temperatur usw., aber gewiß weiß es keiner. Wenn sie des Morgens in aller Herrgottsfrüh losziehen, ziehen sie hinter ihrer Hoffnung her ins Ungewisse, wie die Weisen aus dem Morgenland hinter dem Stern von Bethlehem. Und doch! Versucht es, einem einen Zentner Fische zu schenken unter der Bedingung, daß er nicht angeln darf. Er wird lächelnd die Achseln zucken und Euch den Rücken drehen.