Gestern war hier kurz das Werk von Herriot erwähnt: Madame Récamier et ses amis.
Es gibt wenig Biographien, die mit so unmittelbarer Einprägsamkeit eine ganze Geschichtsepoche mit ihrer menschlichen Staffage beleben, wie dies Buch dessen Verfasser heute die politischen Geschicke Frankreichs leitet.
Wir sehen, wie unmittelbar nach den Greuel der Pariser Schreckenstage und dem Kriegsgetöse das ganz Europa betäubt hatte, die Gesellschaft sich in die Tollheiten einer Amüsiersucht stürzt, die aus dem Leben einen beständigen Karneval machen möchte und deren Exzentrizitäten sich nicht zuletzt auch in der Mode auswirken.
Wir sind heute von der Naturwüchsigkeit jenes Zeitalters schon so weit fortzivilisiert, daß die Nach kriegspsyche, obschon im Grund dieselbe, wie vor hundertzwanzig Jahren, sich dennoch dezenter auswirkte, wenigstens so weit öffentliche Lustbarkeiten in Betracht kommen. Wie sie sich im Geheimen austoben mochte, davon drang nur vereinzelte unzuverlässige Kunde zu den Ohren Unbeteiligter.
Auch von der Erscheinung der Neureichen weiß die Chronik von damals ausgiebig zu melden.
Nur in einem, dem wichtigsten Punkt, unterscheiden sich die Nachwirkung der Kriege von dazumal in der heutigen.
Wer das Buch Herriots liest, ist erstaunt über die Tatsache, daß die Schlachten der nachrevolutionären Jahre zwischen Geschlagenen und Siegern Haß, keinerlei Bedürfnis nach dauernder gegenseitiger Abgeschlossenheit zurückgelassen hatten. W sen die Elite des französischen und deutschen Geisteslebens in dauerndem Verkehr, der zu gegenseitiger geistiger Befruchtung führt. Ein preußischer Prinz ein Neffe Friedrichs des Großen wird bei Prenzlau gefangen und verliebt sich während seiner Gefangenschaft in Frankreich in die schöne Frau Récamier ist scheinbar sogar der Einzige, der je ihr Herz zu gewinnen vermochte und entsagt nur blutenden Herzens der Verbindung, zu der sie sich nicht zu entschließen vermag. Benjamin Constant läßt sich durch Schillers „Wallenstein“ zu einer dramatischen Bearbeitung desselben Stoffes verlocken, er heiratet eine Deutsche und lebt zwei Jahre glücklich in Göttingen. Frau von Staël ist unzertrennlich von Fr. Schlegel, Schiller übersetzt «Phèdre» von Racine. Klopstock findet einen französischen Übersetzer, Frau von Staël durchreist Jahre lang Deutschland und schreibt ihr Buch «De l’Allemagne», das sicherlich nicht von Völkerhaß eingegeben ist, wir treffen Kotzebue in Paris, hören einen früheren Kapellmeister Friedrichs H., Joh. Friedrich Reichhardt, von dem „ätherischen Götterbett“ der Frau Récamier schwärmen - und das alles jeglicher Gebietsbesetzungen zum Trotz.
Ein richtiger Demokrat wird vielleicht sagen: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Damals war das Kriegführen Sache der gekrönten Häupter und derer, die in ihrem Schatten oder in ihrem Licht gediehen. Das machen wir heute anders. Heute sind die Völker Herren über Krieg und Frieden und schlagen sich nicht mehr einem König und seinen Familieninteressen zulieb die Köpfe ein!
O ja, sie tönten lang und laut von der Schönheit der Völker in Wassen! Heute haben wir die Bescherung. Als nur die Könige Krieg führten, vertrug sich alle Welt, sobald der Friede geschlossen war.
Heute führen die Völker Krieg. Und sie können Friede schließen, soviel sie wollen, der Haß frißt weiter.
Wenn sie es nicht so weit bringen, daß sie den Krieg ganz aus der Welt schaffen, war es wirklich nicht die Mühe wert, die Entscheidung darüber aus den Händen der Könige in die Hände der Völker zu legen.