Original

2. Oktober 1924

Henry Schintgen hat vor einigen Jahren ein Büchlein eigener Art geschrieben: Abbas Gregorius der Erbauer. Darin wird einem Vergessenen verdiente Ehre gegeben. Der Titel hat breiten Flügelschlag.

Zu oft steht der Erbauer hinter seinem Werk und verschwindet dem Auge. Wir fragen bei jedem Buch: Wer hat es geschrieben? Jeder gutsitzende Frack fordert die Frage nach dem Schneider heraus, jede Dame, die ihre Freundin mit einem neuen Hut sieht, brennt vor Neugier darnach, welche Putzmacherin ihn geschaffen hat.

Das Haus aber nehmen wir hin, wie ein selbstverständlich Gewordenes, es reicht in seiner Dauer durch viele Leben, nützt sich nicht im Handumdrehen ab, wie ein Buch oder ein Kleid, und darum ist sein Schöpfer kein Mann, zu dem alle paar Monate aufs neue Zuflucht genommen wird. Das Haus ist uns nichts Vergängliches, das je und je des Ersatzes bedarf.

Trotzdem ist es ungerecht von uns, daß wir die Erbauer so rasch vergessen. Wir beziehen ein fertiges Haus, das schon Geschlechter beherbergt hat, und fragen wohl, wieviel Zimmer es hat und wie es orientiert ist, aber wem es vor langen Jahren sein Entstehen verdankte, ist uns gleichgültig. Und doch, die Seele der Erbauer lebt in diesen Häusern fort und sie sollten uns Vieles bedeuten, ob die Häuser uns gehören oder ob liebe Freunde darin wohnen. Sonnen- und Schönheitssehnsucht der Erbauer vibrieren in den alten Häusern fort. Ich meine nicht die Architekten, sondern die Bauherren, die Menschen, die den Baugedanken gefaßt und in die Tat umgesetzt haben.

Es gibt alte Häuser, bei denen weder Sonne noch Schönheit Gevatterin standen. Es sind Schattenhäuser, erbaut grade nur, damit einer ein Dach überm Kopf hatte.

Andere aber stehen da wie frohe Lebensbejaher und lachen unverzagt, herrenhast reihum aus allen Fenstern in die Morgen-, Mittags- und Abendsonne.

Gönne Dir den Genuß, dem Erbauer eines solchen Hauses seine Schöpferpfade nachzuwandeln, mit zu erleben, wie zuerst der Gedanke in wunderbarer generatio spontanea in ihm aufsprang, gärend Gestalt gewann, wie er Monate, Jahre die wonnige Pein des Austragens erfuhr, wie eins zum andern sich fügte - die Gänge hinaus ins Gelände, wo das Haus erstehen sollte, die Qual der Wahl, das Suchen nach der schönsten Aussicht an windgeschützter Stelle, dicht unter dem Hügelrücken, der den Stürmen wehrt, mit dem Blick über den Wald in die ansteigenden Fernen, emporgehoben über lieblich geschwungene Wiesengründe - oder den Wäldern in die Arme gebettet und just dem Mittag hingebreitet, wie Schloß Dommeldingen, oder wie das alte Wintringen im sonnbebrüteten weiten Moseltal, wo es in der Erde vor köstlicher Fruchtbarkeit knistert. Wir haben im Land Dutzende dieser herrlichen Herren- und Bauernsitze, deren Erbauer prächtige Menschen gewesen sein müssen. Wir sollten sie nie vergessen und ihrem Bei- spiel folgen, so wäre von der guten alten Zeit eines der besten Stücke in unsere fahrige Gegenwart herübergerettet.

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KatalognummerBW-AK-012-2733