Original

3. Oktober 1924

Der Völkerbund befaßt sich nicht nur mit der Abschaffung der Kriege, sondern auch mit der Kalenderreform.

Apostel dieses neuen Evangeliums der Zeitrechnung ist ein balkanischer Baron G. Bedeus. Er faßt sein Programm kurz zusammen: 1) das Jahr besteht aus vier Quartalen zu je drei Monaten, von denen der erste fünf, jeder der beiden andern vier Wochen zählt. - Im Schaltjahr hat auch der Dezember fünf Wochen. Schaltjahr ist jedes sechste und außerdem das fünfundvierzigste von je neunzig Jahren. 3) Jeder Monat beginnt mit Montag und hört mit Sonntag auf. 4) Ostern ist ein für allemal auf den 7. April festgelegt.

Baron G. Bedeus verspricht sich von seiner Reform eine ungeheure Förderung für die Wirtschaft der ganzen Welt und bittet die Regierungen aller Länder, seine Anträge dem Völkerbund zur unverzüglichen Einführung zu empfehlen, „damit die Vorteile dieser ersehnten Neuregelung baldigst der Menschheit zugute kommen.“

Ach ja, es wäre wahrhaftig schön und ersprießlich, ein Kalenderjahr zu haben, das hübsch grade in regelmäßigen Vierecken für alle Zeiten fertig daläge, ohne Höcker und Zickzacksprünge und schwer zu berechnende Verschiebungen.

Ich denke dabei an ein heimisches Wiesental, durch das ein Bach fließt. Früher schlängelte er sich hindurch, wie es der Streit der Naturkräfte untereinander, der Fallkraft des Wassers und des Widerstandes der Scholle ergab. An seinen Ufern wucherten Erlenbüsche, schatteten zartblätterige Weiden, ragten schlanke Pappeln. Tümpel standen voll von Geheimnissen der grünen Tiefe, nach jedem Hochwasser um eine Handbreit weiter ausgefressen, dann waren Strecken, über die das klare Bachwasser, vom runden Widerstand der Steine und Kiesel auf dem Grund sanft gekräuselt, von Schilf und Riedgras und blumigem, hochstieligem Unkraut überwuchert, plaudernd hinschoß. Das war alles zum Malen schön. Aber unwirtschaftlich, sagte Herr Enzweiler. Denn er war es. Er war als der Johannes der Täufer, als der G. Bedeus der Bachregulierung, der WiesenBe- und Entwässerung, der Feldbereinigung und anderer fortschrittlichen Dinge ins Land gekommen und warf sich mit Feuereiser auf die Regulierung unseres braven, alten, selbstherrlichen Baches. Er aperierte ihm seine Krümmungen weg, stach ihm ein neues Bett, wenn ihn das alte zu bösen Streichen verführte, machte aus ihm einen schnurgraden, gesitteten Bach, sozusagen einen Musterbeamten von Bach. Die schlanken Pappeln und die schattigen Weiden und Erlen waren verschwunden, es gab keine unterhöhlten Ufer mehr, unter denen sich Forellen, Möhnen, Aale und Krebse heimtückisch verstecken konnten. All dies Ungeziefer war gründlich ausgerottet. Wir erlebten einen Triumph der Regel und des Lineals.

Da kam eines Tages aus Amerika ein Mann zurück, der als ganz junger Bursche ausgewandert war. Er hatte als Junge im Wiesental die Kühe gehütet, im Bach verbotenen Fischfang aller Art betrieben, aus dem Wipfel der Pappeln Krähen-Rester geholt. Er war wohl auch ein paar Mal in diesem oder jenem Tümpel aufs Haar ertrunken und von einer Pappel mit Lebensgefahr abgestürzt, aber er hatte den Pappeln und Tümpeln nichts nachgetragen.

Sein erster Gang nach der Heimkehr aus Amerika war ins Wiesental.

„Pfui Deubel!“ sagte er, als er die schöne Regelmäßigkeit erblickte.

Denn trotzdem er aus Amerika kam, hatte er kein Verständnis für die wirtschaftlich vorteilhafte Verschandelung der Landschaft.

Ich wette, daß dieser Amerikaner auch an der Kalenderreform des Barons G. Bedeus keinen Spaß hätte.

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