Sie reden und klagen so viel über die mißratenen Trauben und das klägliche Weinjahr. Mit Recht. Der Weinberg ist der beredteste Exponent des Erntejahres. Steht er im Glanz der Erfüllung, so ist alles geraten, ein trockenes Jahr, sagen sie, ist nie ein schlechtes Jahr. Ist ihm aber der Glanz verregnet, so ist meist alles versabert. Wenn also die Jeremiaden um diese Zeit zumeist über die faulen Trauben gehen, so ist das ganz natürlich.
Aber warum sagt man nichts von den Zwetschgen? Warum dreht man nicht wehmütig die Augen gen Himmel, wenn man ihren zungverrenkenden Namen ausspricht? Denn auch sie sind heuer mißraten, und ich sage es unserm Moselkorrespondenten auf den Kopf zu, die Zwetschgen haben für die Volkswirtschaft eine umfassendere Bedeutung, als die Trauben. Jawohl! Denn die Zwetschgen liefern Essen und Trinken, Zwetschgenkraut und Zwetschgenschnaps, und wer weiß, ob sie nicht auch einen kräftigen, aromatischen Wein lieferten, wenn man sie keltern wollte.
Und sie sind mißraten. Schon zur Zeit der Schobermeß waren sie, halbreif, um die Stiele eingeschrumpft. Was man im Leben „ein Früchtchen“ nennt, konnte man an ihnen versinnbildlicht sehen. Sie waren wie Menschenkinder, die mit zwanzig Jahren schon verlebt und verbraucht sind. Um die Zeit, wo sie sonst wie großer, blauer Tropfenfall im Gelaub hängen, zitterten sie, verfärbt und verhutzelt, an den Zweigen. Wie strotzten sie sonst vor saftigem Leben, wenn sich ihr goldgelbes Fleisch öffnete, der braune Kern sich reif und fertig aus seiner Höhlung löste und der würzige Duft der Frucht dem feucht blinkenden Bernstein ihres Innern entstieg! Und jetzt! Ein würzund schmackloses Gematsch hängt Dir grün und fahl zwischen den Fingern, geht nicht vom Kern, hat von der süßen Zwetschge nur den Namen. Eben begegneten mir zwei junge Frauen, die vom Markt kamen und Zwetschgen eingekauft hatten. Ein Jammer! Wie erfrorene Nasen, rot und feuchtglänzend lagen sie da, die Zähne knirschten einem, wenn man dachte, man sollte hineinbeißen. Sonst war es ein Genuß, in den Baum zu steigen und über dem Pflücken die schönsten, reifsten zu kosten. Der Genuß ist heuer nur noch Arbeit. Äpfel und Birnen haben es besser. Die wahren wenigstens einigermaßen den äußern Schein, haben rote Bäckchen und können als Entschuldigung geltend machen, daß sie ja noch der Nachreife in der Obstkammer bedürfen, man solle sie nur bis Allerheiligen oder Weihnachten liegen lassen, man werde schon sehen, wie süß und duftig sie sich bis dahin entwickeln werden. Aber die arme Zwetschge gehört beim Obst zu den Eintagssliegen, statt nachzureifen, würde sie welken und faulen, bei ihr gilt es: Wie gefangen, so gehangen!
Und gehangen wird sie, ob sie geraten ist oder nicht. Schon seit einem Monate ist die Ernte im Gang, erst kamen die Händler und kauften für dreißig Franken den Zentner die Moselzwetschgen und sagten, sie gingen alle nach Belgien. Und die Moselaner meinten, es wäre ihnen lieber, wenn ihre Rückstände an Wein in Belgien ebensolchen Anklang fänden. Später kosteten die Zwetschgen nur noch zwanzig Franken den Zentner, und sie gingen nach England. Und dann begannen die luxemburger Hausfrauen ihr Kraut zu kochen, und die Zwetschgen stiegen jäh wieder im Preis.
„Man muß viel mehr Zucker dran tun,“ sagen die Frauen. Also auch hier muß die Sonne von Tirlemont nachhelfen. Nur daß sie hier sozusagen die legitime Gattin ist, während sie beim Wein als verpönte Mätresse gilt, die am liebsten energisch verleugnet wird. Jedenfalls, wenn man von seinem eigenen Wein spricht. Denn die andern, ach, die zuckern ja alle!
Mit Essen und Trinken hat die Zwetschge zu tun. Und auch mit der Liebe. Denn wenn unsere Großväter arg verliebt waren und ein paar gute alte Zwetschgenschnäpfe verhaftet hatten, dann sangen sie:
De’ Quetschen an de’ seind lank ond schmankOnd ich kauf meine Braut eine gildene Rank!Und trotz alledem, trotz aller Poesie der sonngezeugten Süße, der leidenschaftlich schönen Farbe, der süßstarken Feinheit des Duftes, trotz aller Beziehung zu Freude und Liebe im Menschenleben wird die Zwetschge niemals von den Dichtern besungen. Nie hat einer eine Ballade „Zwetschgenblüte“ gedichtet. „Unterm blühenden Zwetschgenbaum“ - unmöglich!
Ja, wenn man Zwetschge heißt!