Original

16. Oktober 1924

Dieser Tage suchte mich der Mann im Mond auf der Redaktion der „Luxemburger Zeitung“ auf.

„Entschuldigen Sie,“ sagte er, „daß ich mich grade an Sie wende. Aber ich kenne Sie vom Hörensagen.“

„So so?“

„Jawohl, Sie sind doch der Besitzer einer Anzahl der schönsten Schlösser, die seit längerer Zeit auf dem Mond gebaut wurden?“

„Allerdings. Erst kürzlich habe ich dort eines gebaut, ich bin grade bei der Einrichtung.“

„Das trifft sich schön. Ich wollte mir einmal das Leben bei Ihnen hier oben ansehen, und da ...“

„Verzeihen Sie, Sie sagten: hier oben, Meinen Sie damit uns? Für uns sind doch Sie oben und wir unten.“

„Merkwürdig,“ sagte er. „Wir reden von Ihnen immer nur per oben.“

„Nun ja, wenn man es recht bedenkt, so gibt es in der Astronomie weder unten noch oben und alles ist relativ. Also Sie wollten sich das Leben der Erdbewohner einmal aus der Nähe ansehen?“

„Jawohl, ich bin Korrespondent mehrerer Blätter von „mondialer“ Bedeutung.“

„Kennen Sie Herrn Fernand Cahen?“

„Nein, ich habe nicht die Ehre.“

„Ich dachte bloß von wegen dem Kalauer. Also gehen wir los.“

Wir kamen auf eine Wiese, auf der elf junge Leute mit vorwiegend nackten Beinen leidenschaftlich versuchten, einen Lederball mit Fußstößen durch ein sogenanntes Tor aus drei weißen Latten zu treiben, das im Westen der Wiese stand, während elf andere junge Leute mit dito Beinen dies zu verhindern trachteten und umgekehrt den Ball durch ein im Osten stehendes Tor treiben wollten. Einige Hundert Zuschauer begleiteten die Vorgänge mit aufgeregtem Geschrei.

Ich erklärte dem Kollegen aus dem Mond die befremdliche Tätigkeit der zweiundzwanzig jungen Leute.

„Man nennt es Fußball,“ sagte ich.

„Und was geschieht, wenn der Ball durch ein Tor fliegt?“ frug der Mann im Mond.

„Gar nichts, außer daß die Zuschauer brüllen.“

„Bedeutet es denn irgend etwas für den Gang der Welt, für das Wohl der Menschheit oder Einzelner?“

„Nein, nicht daß ich wüßte.“

„Und bezahlt werden die jungen Leute auch nicht dafür, daß sie den Ball durch ein Tor treiben?“

„Nein.“

„Weshalb tun sie es dann?“

„Um die Ehre.“

„Die Ehre, ach so!“

Wir kamen an den Bahnhof. Es war um die Zeit, wo die Morgenzüge in verschiedenen Richtungen miteinander abfahren. Aufgeregte Gruppen strömten dem Tore zu.

„Warum haben sie es so eilig?“ frug mein Begleiter. „Wollen sie auch einen Ball durch ein Tor treiben? Tun sie es um die Ehre?“

„Nein, ums Geld. Sie rennen ihren Geschäften nach. Jeder will zuerst am Platz sein, um zuerst das Geschäft zu machen. Nicht um die Ehre, sondern weil es Geld trägt.“

„Von außen sieht man wenig Unterschied,“ meinte er und notierte in sein Taschenbuch; „Die Erdbewohner laufen einmal um die Ehre, das andremal ums Geld. Wenn sie um die Ehre laufen, laufen sie viel schneller und haben viel weniger an.“

Wir kehrten um und gelangten ins Gerichtsgebäude.

„Wer sind diese Männer in den langen schwarzen Röcken?“ frug der Korrespondent mehrerer Mondblätter.

„Das sind Männer, die die Interessen der andern vertreten. Man nennt sie Advokaten.

„Tun sie es um die Ehre?“

„Nein, ums Geld.“

Von da führte uns der Zufall vor ein Schulgebäude, in dem grade das Wahlgeschäft im Gang war. Die Kandidaten gingen von Gruppe zu Gruppe, drückten Hände, bekräftigten Versprechungen, machten sich populär. Der Mann im Mond wollte wissen, wer sie waren.

„Das sind die Kandidaten,“ erklärte ich, „die sich darum bewerben, die Interessen der andern vertreten zu dürfen.“

„Aha, ich weiß: Ums Geld.“

„Nein, um die Ehre.“

„Was Sie nicht sagen!“

„Jawohl. Notieren Sie das bitte für Ihren Reisebericht als höchste Merkwürdigkeit: Auf der Erde wird man für jede Arbeit bezahlt, nur im Sport und in der Politik kriegt man für seine Arbeit kein Geld, sondern begnügt sich mit der Ehre.“

„Oder dem Beklaak,“ warf Herr Grimberger ein, der während unseres Gespräches dazu gekommen war.

„Was ist Beklaak?“ wollte der Mann im Mond wissen.

„Das ist, wenn die Leute von Ihnen sagen. Sie haben silberne Löffel gestohlen, Sie prügeln Ihre Frau, Sie haben ein Verhältnis mit Ihrem Zimmermädchen, Sie verkaufen neunzig Pfund Kohlen für den Zentner, Sie sind ein heimlicher Säufer, Sie haben Geld von der Kirchenfabrik geliehen, Ihre Tante hat wegen Engelmacherei im Gefängnis gesessen und was der Liebenswürdigkeiten mehr sind.“

„Und es finden sich trotzdem immer noch Kandidaten?“

„Wie Sie sehen!“ sagte Grimberger grimmig, spuckte aus und schlug sich seitwärts in die Büsche.

„Es muß etwas Wunderbares um die Ehre sein!“ sagte der Mann im Mond kopfschüttelnd.

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