Als am Freitag abend Marguerite Herleron nach der letzten Strophe des Großmutterliedes von Béranger den Kehrreim sang und an die Stelle kam: «ma jambe bien faite», da hob sie gschamig den Rocksaum empor und man konnte ihre Spitzenhöschen sehen, die bis über die halbe Wade herunter hingen, tiefer, als heute die meisten Damenröcke.
Reden wir also von Spitzen und Spitzenhöschen.
Spitzen. Kanten. Blonden - dentelles auf französchließlich Frauen Freude haben, Männer haben im allgemeinen dafür kein Organ. Ist Ihnen nicht aufgefallen, Gnädigste, wie verständnislos Ihr Mann oder Ihr Freund dreinschaut, wenn Sie in einem Spitzengeschäft ein kostbares Stück Brabanter oder Point d’Alençon über den weißen Rücken Ihrer schlanken Hand breiten und es mit zärtlichen Blicken liebkosen? Männer sind derart zweckstrebige Geschöpfe, daß sie sich für Spitzen eigentlich nur dann interessieren, wenn sie sie fabrizieren oder verkaufen.
Unter Spitzen versteht man nach Meyers Konver- sationslexikon zarte Geflechte aus Spinnfasern mit durchsichtigem Grund und einem Muster aus dichter liegenden Fäden.
Nein, diese Definition wird dem Ursprung und Wesen, nicht einmal dem Namen der Spitzen gerecht.
Spitzen waren ganz im Anfang nur Randverzierung an Geweben. Und hier, Gnädigste, bedaure ich unendlich, mit roher Hand Ihr Ideal antasten zu müssen. Aber Sie werden sehen, es dreht sich am Ende doch noch zu Ihren Gunsten.
Die ersten Spitzen waren meiner tiefsten Überzeugung nach nichts anderes, als die trotzige Veredelung der Fransen am Hemd- oder Kleidersaum. Die Frau machte aus der Not eine Tugend. Am deutlichsten wird das an dem englischen Namen der Spitze, der an das lateinische lacerare, zerreißen, erinnert.
„Was!“ begehrte die Frau auf, deren Rocksaum ausgefranst war. „Ihr glaubt, das sei Schlumpigkeit, oder mein Mann könne mir keinen neuen Rock kaufen! Ich tue es mit Fleiß, weil es schöner ist, als der einfache grade Saum!“ Und als ihr Mann ihr endlich einen neuen Rock kaufte, ging sie hin und franste ihn kunstvolk aus und trug ihn stolz erhobenen Hauptes zur Elfuhrmesse.
Dann geschah es eines Tages, daß sie ein Loch in ihr neues Batisttüchlein brannte. Sie warf es darum nicht fort, Gott bewahre! Sie nahm ihre Schere und schnitt symmetrisch um das erste Loch herum eine Anzahl anderer, größer oder kleiner, bis ein Müsterchen daraus wurde, und säumte die Lochränder kunstreich mit Seidenfädchen.
Glauben Sie mir, Gnädigste, so und nicht anders sind die Spitzen entstanden. Und wenn man Euch Frauen ein wenig kennt, so weiß man, daß nicht nur trotzige Eitelkeit, sondern ein gut Teil angeborener Mütterlichkeit und fraulichen Mitleids dabei mitwirkten. Ich höre Euch ordentlich sagen. „Was, du armes ausgefranstes Höschen, lachen wollen sie über dich, verachten wollen sie dich! Komm du her, ich will deine Armut zu Reichtum, deine Zerlumptheit zu Anmut, deine Fransen zu Seidenspitzen machen, dann verlachen sie dich nicht mehr, sandern geben Tausende aus, um es dir gleich zu tun!“
Denn die hilflosesten und bedauernswertesten Kinder waren immer Eure Lieblinge. Das heißt, wenn Ihr rechte Frauen seid. Und darum dürft Ihr ruhig für die kostbaren Spitzen schwärmen.