Kennen Sie Nudelauflauf! - Jawohl, es ist was zum essen. Aber nicht von diesem niedrig genießerischen Standpunkt wollen wir den Nudelauflauf betrachten. O ja, es ist gastronomisch etwas Schönes um einen richtigen Nudelauflauf mit Parmesankäse, wenn er obendrein als Begräbnisstätte einer angemessenen Portion saftigen Schinkens in die Erscheinung tritt. Aber wie gesagt, wir wollen ihm edlere Seiten abgewinnen, er sei uns ein Träger anheimelnder Klangpoesie und ein Beschwörer lieber Erinnerungen.
Wenn Sie nicht am Strand der Isar geboren und aufgewachsen sind, so versuchen Sie nicht, das Wort Nudelauflauf richtig auszusprechen. So wenig übrigens, wie das Wort Loabitoag, das in München als Erkennungszeichen des Einheimischen gilt. Wie vor 650 Jahren in Palermo bei der Sizilianischen Vesper die Franzosen sich durch die Aussprache des Wortes Ciceri verrieten, so offenbart in München sich jeder Auswärtige bei der Aussprache des Wortes Loabitoag und bei der Bestellung von Nudelauflauf. Du glaubst, Deine Zunge sei dem Loabitoag bis auf die leiseste Schwingung gerecht geworden, so lacht dich die Cenzi oder die Rosel aus und sagt: Koa Spur von Ähnlichkeit. Womöglich noch heimtückischer hat sich die Münchener Seele in den Klang von Nudelauflauf verkrochen. Bist Du einigermaßen glücklich über die Nudel weg, so blamierst Du Dich beim Auflauf bis auf die Knochen. Denn das kriegst Du einfach nicht fertig, aus einem einfachen an, das Tongebilde zu machen, das ein Münchener Mund daraus macht. Es ist kein an mehr und ist auch kein a, es ist ein Klang, aus dem es klingt von Offenheit und Gemütlichkeit und Humor und Sichgehenlassen und Arm- und Beinschlenkern und dementsprechend auch ein wenig von Rauflust, sagen wir lieber von Lust am Raufen, denn der Ton liegt auf der Lust, nicht auf dem Raufen.
Und darum erinnert das Wort an alles, was einer, der München gern hat, sich darunter denkt: Das Vorkriegsmünchen, das wie das Tor war zu der Pracht der Berge und der Seen. Nicht das München Hitlers und Ludendorffs, auch nicht das München Kurt Eisners aus dem sie seit Jahren monoton „ein garstig Lied, pfui ein politisch Lied“ grölen. nein, das München des Münchner Kindl und der Frauentürme, das München der Radis und Cenzis, das München der Pinakothek und der Glyptothek, des Glaspalast und der Sezessionen, das München, wo Kunst und Bier eine Ehe geschlossen hatten, wie Goethe und Christiane Vulpius wo der reine Wind von der Zugspitze her die Schwüle und die Bazillen der Großstadtluft aus den Straßen und Köpfen hinausblies, wo die Professoren noch im kurzen Wichs aufs Katheder stiegen, wo man abends den Ludwig Thoma, bevor er seinen nationalliberalen Koller hatte, mit dem vom Kaiser in Wiesbaden „geschnittenen“ Maler des Muschelsaals im Kurhaus, Fritz Erler, und mit dem köstlichen Konrad Dreher - Herrgott san mir Leut! - beim Tarok zusammen sitzen sah, wo es passieren konnte, daß zwei Preußen aus einem Lokal herausgeworfen wurden, weil sie pfiffen, als das Orchester auf Wunsch einiger Gäste die „Marseillaise“ spielte - an diese einzige Stadt, die das Große verstand: Einfach und kompliziert, gemütlich und raffiniert, Großstadt und Sommerfrische in Einem zu sein - an dies München erinnert der Nudelauflauf, und darum war er es wert, daß ihm dies Lied gesungen wurde.