Original

23. Oktober 1924

Theaterspielen gehört heute doch wohl zur normalen Beschäftigung eines jungen Mannes in Luxemburg, zahlreich sind auch die jungen Mädchen, die den Weg auf die Breiter gefunden, mit dem Lampenfieber und dem Rausch des Bühnenerfolges Bekanntschaft gemacht haben.

Das war früher nicht so. Dicks mußte bekanntlich seine Frauenrollen Männern auf den Leib schreiben. Er, der ein Muster von Ritterlichkeit der Frauenwelt gegenüber war, hätte sonst gewiß nie daran gedacht, einem wackeligen alten Frauchen, wie der Mumm Se’ß, zuzumuten, daß sie einen jungen Lümmel auf ihrer Hotte durch den Bühnenraum schleppte. Oder hatten dazumal die Frauen stärkere Knochen?

Als in den siebziger Jahren - Herrgott, das war schon im vorigen Jahrhundert! - von einer Gruppe junger und jüngster Gymnasiasten die „Union dramatique“ gegründet wurde, eröffnete sie die Reihe ihrer Vorstellungen mit einem seither verschollen gebliebenen Lustspiel von dem nachmaligen Leutnant Hary Weyrich. Er selber sorgte, wie es immer hieß, dafür, daß es nach seinem ersten Erscheinen vor dem Publikum von der Bild- u. Bühnenfläche verschwand. In diesem Stück waren ebenfalls noch alle Frauenrollen mit Männern besetzt. Daß ein junges Mädchen mit Männern zusammen Theater spielen sollte, war schlimmer, als wenn sie mit ihnen eine nächtliche Fahrt im Luftballon gemacht hätte. Umgekehrt spielten und spielen noch heute in den Pensionaten die höheren Töchter gerne Hosenrollen - wenn sie keine krummen Beine haben.

Die erste junge Dame sahen wir hier in einer Liebhabervorstellung im Stadttheater, als nach dem Tode von Dicks die „Union dramatique“ zum Besten des Dicks-Denkmalfonds den Zyklus seiner Stücke in musterhafter Besetzung und Einstudierung gab. Es gehörte Mut dazu, und diesen Mut besaß Fräulein Derulle, die in den Besprechungen jener Zeit immer nur schamhaft mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens genannt wurde. Ihr folgte bald Frl. Henriette Donnen, und als die kleine Maguy Donnen ein wenig größer wurde, als ein Gendarmenstiefel, da stand auch sie eines Abends auf der Bühne und brachte es sogar fertig, auf ihren zarten Schultern die zirka 80 Kilo eines wohlgenährten Peterchen hinauszutragen.

Seither ist der Bann gebrochen und aus den besten Familien haben wir Töchter mit Talent und Anmut auf allerhand Bühnen vorbeischweben sehen.

Wir scheinen also im Allgemeinen zur Schauspielerei nicht weniger Anlage zu besitzen, als andere Völker. Dennoch dauerte es lange, bis ein Luxemburger in sich den mimischen Götterfunken verspürte. Wir hatten Maler und Dichter und Musiker, aber keinen Schauspieler. Walter Colling war der erste. Er hatte seinen Beruf nicht so sehr von der lebendigen Anschauung, als von einer Art theoretischer Begeisterung her, die ihm aus den Büchern gekommen war. Er hat ja auch, ehe er zur Bühne ging, einen Band Gedichte veröffentlicht: „Die Lieder des Harfenknaben“, ohne jemals auf den Titel eines poeta laureatus zu spekulieren, obgleich seine Gedichte den Vergleich mit allen andern hiesigen Wachstums aushalten. Seiner guten humanistischen Bildung und jener literarischen Interessiertheit, die ihn zur Bühne drängte, verdankt er es, daß er heute nach dem Verzicht auf den Lorbeer geistig nicht auf dem trocknen sitzt, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen.

Auch das Brettl forderte von unserm Volk seinen Tribut. Der erste luxemburger Brettlkünstler - in chronologischer Folge - muß der Litty gewesen sein - wenn es nicht der Gust Maisonet war. Litty meckerte mit preziöser Gebärde seine Liedchen, Maisonet’s Gust war der Mann des breit und laut fließenden Humors, wenn er sein rotes Schnupftuch zog, wenn sein Mund mit dem schelmischen Lippenspiel in die Breite ging und seine flachshell beliderten grauen Augen sich in komischem Erstaunen rundeten, war er wirklich ein Sonderfall, um den sich eine Gemeinde bilden konnte. Aus den höheren Regionen des Brettl kam dann auch die Kunde von unserm Landsmann Lentz aus Rollingergrund, der als Stern seinen Platz am Pariser Artistenhimmel hat. Und dann machte August Donnen die Pforten zum Brettl breit und geräuschvoll auf und durchdröhnte das Land mit seinem gewaltigen Naturbariton.

And there we are.

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KatalognummerBW-AK-012-2751