Wenn Du, lieber Leser, eine Flasche Wein aufbewahren willst, so nimmst Du eine Spitzhacke und eine Schaufel, begibst Dich vors Haus und gräbst ein tiefes Loch aus. Eventuell nimmst Du Sprengminen zu Hilfe, wenn Du auf felsigen Untergrund stößest. In dies Loch legst Du Deine Flasche hinein, bedeckst sie wieder mit dem ausgehobenen Erdreich und freuest Dich der Tat.
Willst Du die Flasche Wein trinken, so gräbst Du das Loch wieder auf, entnimmst ihm die Flasche, schüttest es wieder zu. Trinkst Du die Flasche nur halb, so gräbst Du das Loch neuerdings auf, tust die Flasche wieder hinein und bedeckst sie nochmals mit dem ausgehobenen Erdreich. Und so weiter.
Wie? Das wäre Unsinn! Das machtest Du ganz anders? Du hättest einen Keller unter Deinem Haus, einen gewölbten Keller, in dem Du Deine Weinflaschen, Deine Kohlen, Deine Kartoffeln unterbringst? Du behauptest, das sei viel praktischer, einfacher und billiger, als für jede Flasche, jeden Eimer Kohlen, jeden Korb Kartoffeln ein Loch in den Boden graben, wieder zuschütten, wieder aufgraben usw. usw.
Vielleicht hast du recht. Warum haben sie Dich nicht vor dreißig Jahren in unser städtisches Tiefbauamt berufen? Vielleicht hättest Du damals Deine Anschauung durchgesetzt. Damals fanden sie es offenbar einfacher, praktischer und billiger, für jeden Einzelfall ein Loch zu graben, statt das Haus zu unterkellern. Darum ist Luxemburg heute die bei weitem aufgebuddeltste Stadt Europas. Wir haben Gasleitung, wir haben Wasserleitung, wir haben die Kabelleitung für die elektrische Beleuchtung, wir haben die Kabelleitung fürs Telephon, wir haben die Schwemmkanalisation in zwei Stufen. Das macht sechs unterirdische Leitungen. Für eine jede davon werden sämtliche Straßen der Stadt wenigstens einmal aufgegraben. Kaum hat man den Alpenstock, den man sich zum Überqueren der Erd- und Steinhaufen bei einer Straßenaufbuddelung angeschafft hat, auf den Speicher gestellt, so kommen eines Montags morgens die Männer und graben einen womöglich noch tieferen Graben. Und wieder kann man sich Wochen, Monate lang im Balancieren üben. Die Schläge der Sprengungen inkommodieren die Bevölkerung keineswegs, wie nebenbei bemerkt sei, im Gegenteil, bei jeder Explosion haben die Leute Gelegenheit zu der freudigen Feststellung, daß es keine Fliegerbombe war.
Ich weiß schon, was Du sagen will, lieber Leser: Es wäre viel einfacher und auf die Dauer auch billiger gewesen, das System der Einzellöcher durch das Kellersystem, die ewigen Straßengräben durch einen gewölbten Kanal zu ersetzen, der alle Leitungen hätte aufnehmen können. Das hätte unter vielen andern Vorteilen auch den gehabt, daß wir unserer Stadt einen wirklich saubern, großstädtischen Anstrich durch makadamisierte Straßen hätten geben können.
Lieber Leser! Vor dreißig Jahren hatten wir hier noch keine großstädtischen Mucken im Kopf. Aber verlaß Dich drauf, wenn einmal alle Straßen minimum sechsmal aufgebuddelt waren, dann wird man sich zu Deinem System bekehren und ein gewölbtes Kanalnetz bauen, wie es überall besteht. Aber wir beide werden es schwerlich noch erleben.