Original

26. Oktober 1924

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich auch in unserm sonst so stillen Ländchen die Meldung, daß überall der Bubikopf abgebaut wird. Schrecken erfaßte alle, die sich die Haare hatten abschneiden lassen, und es blies ihnen eisig kalt in den Nacken.

Jawohl, verehrte Freundin, ich hatte es Ihnen gleich gesagt. In Modedingen legt man sich nicht auf eine Reihe von Jahren fest. Ich begreife, daß Ihr Euch die Röcke abschneiden ließt. Denn die kurzen Röcke stehen Euch nicht minder reizend, als die kurzen Haare, und ich glaube gern. daß viele von Euch ihrem Schöpfer für eine Mode dankten, die ihnen endlich erlaubte, die graziösesten Beine, die er jemals erschaffen, zu mindestens 25 Prozent der Bewunderung ihrer Zeitgenossen zugänglich zu machen, statt sie ungesehen unter der Sturzglocke langer Röcke von der Wiege bis zum Grabe durchs Leben zu tragen. Aber niemals, das weiß ich bestimmt, niemals hättet Ihr Euch dazu verstanden, Euch die Röcke abschneiden zu lassen, wenn Ihr gewußt hättet, Ihr dürftet sie nicht länger mehr tragen, solange sie nicht wiedergewachsen wären.

Mit den Haaren wart Ihr weniger vorsichtig, als mit den Röcken, und nun habt Ihr die Bescherung.

O ja, der Bubikopf stand und steht Euch durch die Bank entzückend, und ich sehe gar keinen Grund ein, auf ihn zu verzichten. Zeigt doch den Modetyrannen die Zähne u. sagt: Wir bleiben bei den kurzen Haaren, wem es nicht gefällt, der kann zu den andern gehen u. sehen, ob er mit denen besser fährt. Schließlich, nicht wahr, wenn etwas heute schön ist, kann es morgen nicht häßlich sein, das Zünglein an der Wage des Geschmacks schlägt freilich heute nach links, morgen nach rechts aus, aber da soll man einfach warten, bis besagtes Zünglein sich in der Mitte beruhigt hat.

Also der Bubikopf steht Euch entzückend. Er verbreitet um Euch ein leichtes, unschuldiges Parfum von Perversität und auch von Emanzipationsgelüsten. Aber ich bin sicher, daß manche, die immer über Eure Bubiköpfe geschimpft hat, im Herzen trotz ihrer langen Haare viel mehr Mannweib ist, als die Schlimmste von Euch.

Meinetwegen dürft Ihr also Eure Bubiköpfe ruhig behalten. Aber bewahrt die Nacken Eurer Kinder vor der Schere. Ich kenne Kinderköpfe, die nur ein Verbrecher der Modefrisur unterwerfen könnte. Ich weiß zum Beispiel eine klimperkleine Miß, die mich als Onkel adoptiert hat und deren Locken leuchten wie ein gesponnenes Metall, das eine Legierung aus Sonnengold und Mondsilber wäre. Wer dieser einen Bubikopf schnitte, den würde ich kaltlächelnd erwürgen.

Der Bubikopf eignet sich nur für Erwachsene. Nur bei denen hat er seine Bedeutung. Ich kenne zwar keine, die über fünfundzwanzig, sagen wir achtundzwanzig Jahre alt ist, aber das Schlimme wäre, sagen einzelne Friseure, daß in diesem Alter die Haare nicht wieder nachwachsen. Vielleicht sagen sie es auch nur, damit sich die Damen falsche Zöpfe bei ihnen kaufen, um die unmoderne Nacktheit ihrer Nacken zu verhüllen.

An Eurer Stelle, meine lieben Bubiköpfe, regte ich mich gar nicht auf. Ich ließe, wenn es nicht anders geht, meine Haare ruhig wieder wachsen und wartete geduldig ab, was sich daraus ergäbe. Wer sagt, daß nicht in jedem Stadium dieses Wiederwachstums sich eine besondere Nüance von Schönheit herausstellte? Kennen wir nicht Bilder schöner und berühmter Frauenköpfe aus allen Zeiten, auf denen die Haare in jeder denkbaren Länge vorhanden sind, vom Tituskopf bis zum Haarmantel der Büßerin Magdalena? Ich gebe Euch einen Rat: Einigkeit macht stark! Bildet einen Verein Luxemburger Ex-Bubiköpfe und laßt Euch nicht an den Wimpern klimpern!

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KatalognummerBW-AK-012-2754