„Kärrftchen“ heißt an der Mosel ein Körbche.
Aber ein „Kärrftchen“ ist nicht gemeinhin ein Körbchen oder, wie es sonst im Lande heißt, ein „Kierftchen“, sondern um diesen Gebrauchsgegenstand aus geflochtenen Weiden oder Riedruten ist die Atmosphäre eigener Art. Jeder, der das Wort sich denkt sich darunter ein Behältnis, in dem nur ganz bestimmte, nach der Jahreszeit verschiedene Produkte Platz finden. Und zwar sind es im Herbst Trauben im Frühjahr Waffeln und Zoßiß. - Zoßiß, bitte, Wurst, denn das ist wiederum zweierlei.
Oder ist es etwa nicht wahr, daß Du, liebe Leserin oder lieber Leser, wenn Du in diesen Tagen das Wort „Kärrftchen“ hörst, es sofort durch das andere ergänzest: „Drauwen“. „E Kärrftchen Drauwen“ in den Wochen nach dem Herbst in den Straßen der Stadt eine Erscheinung, die an Häufigkeit Kartoffelwagen nicht viel nachgibt. Aber schon konnte man das Wort hören, wenn man während der Lese durch die Weinberge ging und befreundete Winzerinnen einem zuriefen: „Kommt schneidt die Kärrftche voll!“ Das ist aufrichtig gemeint eine Fülle des Segens macht die Leute freigebig. leit un em Kärrftchen Drauwen!“
Hat Dich die Winzerin ihr Herz geschlosse@ sie ein Übriges und nötigt Dir das „Kärrftch@ das sie selbst schon für den eigenen Bedarf @ geschnitten hat. Das ist meist Frauenarbeit. @ haben alle außer dem Eimer ihr Körbchen @ das die schönsten Trauben hineingeschnitten @ Was da so an den Stöcken die Masse mach@ gewöhnliche Traubenvolk, an dem hier ein @ Beeren gefault, da ein paar eingetrocknet sind@ geht in die Kelter und verliert seine Individu@ Aber die Erwählten, die Tadellosen, die so @ wie sie alle sein müßten, wenn die Tücke des W@ und der Schädlinge nicht wäre, wie der Herr@ hat schaffen wollen und wie ganz sicher im Pa@ die Trauben ausgesehen haben, die schneide@ Winzerin zärtlich in ihr Körbchen, weil m@ Trauben zum Essen und zum Verschenken habe@ aber sicher auch, weil es ihren Mutterinstinkt@ ihrem Mutterstolz widerstrebt, daß diese @ geratenen Kinder des Weinstocks mit der@ gekränkelten Plebs eingestampft werden sollen. Sie wollen der Sache auch ein wenig Schönheit abgewinnen und schneiden die Trauben, wie sie im Garten am Haus die Rosen und Nelken schneiden zu einem Sonntagsstrauß oder zum Schmuck des Hauses, wenn die Prozession vorbeigeht. Das ganze Jahr durch fassen sie mit ihren verarbeiteten Händen sicher nichts so zart und behutsam an, wie die Trauben, die für das „Kärrftchen“ bestimmt sind.
Nun laßt den Most im Faß sein, so macht sich der brave Winzersmann mit seinem „Kärrftchen“ auf den Weg nach der Stadt. Das ist alte Überlieferung, und Gottes Segen ist auf den Häusern, in denen sie weiterlebt. Ihre Trauben sind immer die besten und ihr Wein dito.
Für wen denn die vielen „Kärrftchen“ sind? Ja, da ist der Wirt, dem der Winzer jahraus jahrein seinen Wein und seinen Schnaps liefert, da ist der Advokat, dem er seine Prozesse anvertraut, da ist der Verwaltungskommis, der ihm seine Angelegenheiten in den Büros fördert und den er für mächtiger hält, als den Minister - manchmal ist er’s ja auch - da ist dieser Bekannte und jener Freund, mit dem er vielleicht daheim die Schulbank gedrückt hat, kurzum, seine „Kärrftchen“ finden alle freudige Abnehmer und er bringt sie abends leer nachhaus mit dem heitern Bewußtsein, ein gutes Werk getan zu haben. Er hat sich von seinen schweren Arbeitstagen einen abgeknappt, um ein paar Leuten in der Stadt zu beweisen, daß die Trauben, seine Trauben viel besser sind, als die Städter nach all dem schlechten Wetter geglaubt hatten, und daß die Winzer desgleichen viel freigebiger und menschenfreundlicher und liebenswürdiger sind, als die Rowdies behaupten, die in die Weinberge einbrechen, wie die Wildsauen, und ganze Büglinge abreißen und dafür von den Winzern verprügelt werden. Und so verschafft sich dieser wackere Winzersmann der guten alten Schule um einen Tag voll Plackerei ein paar Stunden lang das erhebende Gefühl, daß Geben seliger ist als Nehmen.
Soviel von dem „Kärrftchen“ als Herbstphänomen.
Das „Kärrftchen“ mit Zoßiß und Waffeln ist eine Begleiterscheinung der Oktan, But that - das ist eine andere Geschichte.