Ich bekomme jede Woche aus Amerika eine Provinzzeitung geschickt, die ich mit Interesse lese. Ich erfahre daraus, wenn Peter Schrantz aus Slayton in seinem neuen Auto seiner Tochter Leona in Rochester einen Besuch abgestattet hat, oder wenn John Galles aus Sioux-Falls sich einer Blinddarmoperation unterziehen mußte. Dieser Herald erscheint wöchentlich in einer riesigen 12 Seiten-Ausgabe an einem Ort, der nicht mehr als 2000 Seelen zählt. Der Verleger, dem ich mein Erstaunen über das Format u. die Stoffmenge ausdrückte, sagte, alle seine Abonnenten lesen das Blatt jeden Sonntag bis zum letzten Buchstaben, die Anzeigen einbegriffen. Sie liegen so einsam und verstreut im Land, daß sie keine andere Unterhaltung haben.
Das muß man übrigens dieser amerikanischen Provinzpresse lassen, die Mache ist geschickt und der Inhalt zusammengesetzt, wie ein vortreffliches Menü. Jeder Zeitungsleser sagt Dir gleich, was er in seinem Blatt zuerst liest: Bei dem einen ist es die Tagesübersicht, bei dem andern das Feuilleton, ein dritter fängt bei den Lokalnachrichten an und ein vierter setzt seinen Stolz darein, daß er nur die Anzeigen liest. Ich bekenne, daß ich bei meiner amerikanischen Zeitung jedesmal zuerst die Rubrik aufblättere: „Said on the side“, was wir auf deutsch etwa „Zwischen Klammern“ oder „Gedankensplitter“ nännten. Da lese ich zum Beispiel in der letzten Nummer, wie mir der anonyme Verfasser dieser Rubrik ins Ohr sagt:
Daß manche Diplomaten in Wirklichkeit nur geschickte Lügner sind.
Daß es sehr wohl möglich ist, noch jung zu sein und dennoch eine Vergangenheit zu haben.
Daß Tränen einen Mann in Schulden stürzen können, ihm aber nicht helfen, die Schulden bezahlen.
Daß unsere Freuden nie, aber unsere Ausgaben immer größer werden, als wir erwartet hatten.
Daß Leute, die es zu etwas bringen, immer mit Narben bedeckt sind, die aber niemand sieht.
Daß es vom Herzen bis zum Mund nicht so weit ist, wie von der Hand bis zum Mund.
Daß es wohl ein Alter gibt, in dem junge Mädchen in Gesellschaft zu gehen anfangen, aber keines, in dem sie nicht mehr gehen.
Daß es sehr zu empfehlen ist, den Kindern anzugewöhnen, daß sie die Wahrheit sagen, aber man muß achtgeben, bei wem.
Daß es etwas Schönes ist um die Liebe auf den ersten Blick, aber daß es das Sicherste ist, seine Brillengläser zu putzen und ein zweites Mal hinüberzuschielen.
Daß die Eier auf dem Markt furchtbar selten würden, wenn die Hühner wüßten, wieviel Zeit ein Maurer braucht, um einen Ziegelstein zu legen.
Daß du einen andern nie verdammen sollst, bis du weißt, daß du nicht dasselbe verbrochen hast.
Daß, wenn Spazierengehen die gesundeste Leibesübung ist, es gesetzlich verboten werden sollte, weil es sonst von wenigen oder gar niemand geübt wird.
Aus Eigenem könnten wir hinzugeben:
Daß in Luxemburg das Sprichwort vom goldnen Mittelweg nicht stimmt, weil die Straßen meist durch die Mitte aufgerissen werden.
Daß es uns viel besser ginge, wenn unsere Valuta so hoch wäre, wie der Puddler auf den neuen Zehnfrankscheinen.
Daß lange nicht so viel Einundzwanziger in den Flaschen verdirbt, wie behauptet wird, weil so viel gar nicht gewachsen ist.
(Fortsetzung kann folgen.)