Die Sonne und ich hatten ein Zwiegespräch.
Es war an einem der letzten Tage, wo sie so sieghaft durch den wolkenlosen Himmel wallte vom Orient zum Occident.
Sie schien mir durch das offene Fenster auf den Buckel, so eindringlich und warm, wie nicht ein einziges Mal im August und September.
„So!“ sagte ich vorwurfsvoll. „Nun kommen Sie und tun schön, nachdem Sie uns die ganzen Ferien vers - verschandelt haben, pardon! Jetzt können Sie mir gestohlen werden. Jetzt weiß ich nichts mehr mit Ihnen anzufangen, erstens habe ich keine Zeit und zweitens sind Sie ein Anachronismus. Ihr warmer Schein ist saisonwidrig. Alles zu seiner Zeit. Warum haben Sie im August und September nicht geschienen? Da hatten wir auf Sie gerechnet. Da hätten wir etwas von Ihnen gehabt. Aber so! Sehen Sie draußen am Rebenspalier, die Trauben, die wir mußten am Stock faulen lassen, weil sie nicht reif wurden? Verstehen Sie französisch? Wissen Sie, was das heißt: Moutarde après dîner? Lassen Sie sich heimgeigen. jetzt reflektieren wir nicht mehr auf Sie, jetzt haben wir unser Feuerchen im Ofen und brauchen uns nicht mehr von Ihnen einheizen zu lassen. Scheinen Sie gefälligst dort, wo Sie um diese Jahreszeit im Kalender stehen!“
Da blinzelte mich die Sonne schekmisch an und sagte:
„Wir haben uns dach früher geduzt. Du hist ein dummes kleines Menschlein und weißt in der Metesrologie nicht Bescheid. Ich habe das ganze Jahr hindurch geschienen, wie es meine Schuldigkeit war, was kann ich dafür, wenn Ihr drunten auf Euerm Erdbällchen nicht Ordnung haltet, wenn bei Euch alles mit Regen und Wind und Nebel und Wolken drunter und drüber geht! Wenn Ihr bei Euch geschlossene Türen findet, geht Ihr auch vorbei. Wenn mich Eure Wolken nicht durchlassen, so müßt Ihr eben ohne mich auskommen.
Und nun! Statt mir zu danken, daß ich noch rasch das Versäumte nachhole, schimpfst du. Ich will dir mal was sagen: Es paßt mir nur halb, daß ich im Frühjahr, Sommer und Herbst bei Euch eigentlich Frondienste verrschten muß. Ihr betrachtet mich da als einen nützlichen Faktor in Euerm sogenannten Wirtschaftsleben. Ihr bemeßt meine Leistungen nach Kalorien. Ich soll gewissermaßen Köchin bei Euch sein, soll Euch reif machen, was Ihr und Euer Vieh zum Essen und Trinken braucht. Ihr streckt morgens den Kopf zum Fenster heraus und wollt wissen, ob ich Euern Kartoffeln, Euerm Korn, Euerm Heu und Stroh und Euern Äpfeln, Zwetschgen, Birnen und Trauben gegenüber meine Schuldigkeit tue. Daß ich dir’s nur sage, ich fühle mich dadurch gedemütigt, heruntergesetzt. Ich bin ein Himmelsgestirn, das nicht nach seinem materiellen Gebrauchswert eingeschätzt werden will. Ich will Euch etwas sein, das sich nicht in Säcke und Sester, Fuder und Zentner, Franken und Centimes umrechnen läßt. Und darum ist es mir eine ganz besondere Genugtuung, jetzt zu scheinen, an der Schwelle des Winters, wo ich als Köchin gar nicht mehr in Betracht kommen kann. Denn du hoffst doch nicht, daß ich dir die paar Verrecklinge von Tomaten, die du im Garten stehen hast, noch zur Reife bringe! Ich mache mir eine besondere Ehre daraus, im Sinn Eurer Volkswirtschaftler absolut zweck- und nutzlos zu scheinen, bloß zu meinem Vergnügen und zur Freude der Menschen, die die Sonne im November zu schätzen wissen, die in meinem späten Schein ein Geschenk des Himmels schlechthin erkennen, an dem sie sich noch einmal zu guter Letzt ergötzen können, ehe definitiv Schluß ist.“
„Ja ja,“ rief ich reuig und bekehrt. „Scheine weiter, ich will dein Licht trinken und alle Poren deiner Wärme öffnen. Ich will in deinem Schein von Ostern und Pfingsten träumen, will mir vorstellen, daß an den kahlen Ästen schon die Knospen schwellen, will ......“
„Ach nein!“ sagte sie. „Du hast es falsch aufgefaßt. „Es ist Abschied, nicht Auferstehung. Aber so seid Ihr Menschlein. Wenn man Euch die Hand gibt, wollt Ihr gleich den ganzen Arm haben. Adieu, ich empfehle mich, diesmal endgültig.“
Und andern Morgen braute kalter Nebel über der Erde und die letzten Rosen waren erfroren.