„Dieser junge Mann.“ dachte ich für mich, als ich ihn über die Neue Brücke auf mich zukommen sah, „hat einen ganz außergewöhnlich beschwingten Gang.“ Aber als er näher kam, war es mein alter Freund Wimm. Nun muß ich vorausschicken, daß ich mich in seinem Gang nicht getäuscht hatte, denn er hat weit in seine Mannesjahre hinein die ungebrochene Federkraft der Glieder bewahrt, und wenn die Augen der Spiegel der Seele sind, so muß es da drinnen auch noch recht lebhaft zugehen.
Dies ist um so erstaunlicher, als mein Freund wahrscheinlich niemals schwedische Gymnastik getrieben hat. Er saß immer in seinem Büro, er war der Nurbeamte, wie noch keiner in keinem Buch stand, er ging in seinem Beruf auf, sein Amt war sein Stolz und er war der Stolz seines Amtes. Ich glaube wohl, daß er, wenn es hätte absolut sein müssen, für seinen Beruf sein Leben gelassen hätte.
Ich hatte ihn eine Zeitlang nicht gesehen und frug ihn, wie es ihm ginge und ob er immer noch so ein begeisterter Büromensch sei.
Er sah mich von der Seite an, wie man jemand ansieht, von dem man nicht sicher ist, ob er einen nicht frozzeln will.
„Wieso, Büromensch?“
„Na, ich denke, du bist doch noch immer ....“
„Den Teufel bin ich, weißt du denn nicht, daß ich wegen erreichter Altersgrenze in Pension gehen mußte!“
„Pension! Altersgrenze!“ Ja, wie war denn das möglich! War er denn so viel älter? Wie kann ein Mann, der so aussieht, die Altersgrenze erreicht haben!
„Jawohl, mein Lieber!“ sagte er mit mildem Sarkasmus. „Sie haben mich zur Ruhe gesetzt. Quietirt, sagen sie so schön in Österreich.“
„Ja, war denn kein besserer Posten sonst irgendwo frei? Ist es denn denkbar, daß du, der sein Leben lang ans Arbeiten gewöhnt war und noch heute dazu besser imstande wärest, als viele Jungen - daß du von Staats und Gesetzes wegen von nun an bis zu deinem seligen Tode zum Müßiggang gezwungen wirst.“
„Es scheint so. Die Arbeit ist mir Bedürfnis, ich fühle mich dazu so fähig, wie mit zwanzig Jahren, und doch bin ich brach gelegt. Ich bin zeitlebens in meinem Fach aufgegangen, ich kann jetzt, mit achtundsechzig Jahren, nicht Weinreisender werden, meine ganze Tätigkeit wird darin bestehen müssen, daß ich meine Pension verzehre, und das ist nicht so schwer, daß ich meine Tage damit ausfüllen könnte.“
„Allerdings,“ meinte ich träumerisch.
„Und grade jetzt, grade jetzt zuckt es mir in beiden Händen nach dem Zugreifen. Grade jetzt, wo ich die nötige Gemütsruhe und den nötigen Abstand habe, sehe ich am deutlichsten, wo etwas im Räderwerk nicht klappt, wo ein Rad zu viel oder eins zu wenig ist, wo unnütze Reibungen den Gang der Maschine erschweren, wo sich eine Achse warm läuft und wo umgekehrt an Ol zu sparen wäre. Junge Junge, der Staat verliert zehn-, hundertmal so viel, wie er uns Pension zahlt, dadurch daß er unsere Erfahrung und Arbeitslust nicht ausnutzt.“
„Allerdings,“ meinte ich. „Das System ist äußerst unwirtschaftlich. Ich könnte mir sehr gut so eine Art aberen Verwaltungsrates denken, der zu allen einschlägigen Fragen sein Gutachten abzugeben, nach eigenem Dafürhalten mit Anregungen einzugreifen, den ganzen Apparat auf der Höhe zu halten hätte. Es gibt Beamte, die dahinein gehörten, und andere, die nicht dahinein paßten. Mancher sehnt sich nach der Altersgrenze, weil ihn der Betrieb nicht interessiert, weil er tagtäglich die drei Alten im Park spazieren sieht und auch einmal den ganzen Tag seine Pfeife rauchen möchte, ohne an etwas anderes zu denken. So einer hätte nie den Ehrgeiz, jenem obern Verwaltungsrat anzugehören. Andere aber schwingen auch über die Altersgrenze weiter im Interesse für das Amt und die Sache, und die gehören in einen solchen Organismus, es wird keinen Neid erwecken, wenn sie nach ihrem Abgang weiter mit der Verwaltung Fühlung behalten, denn mit diesen, mit allen regsamen, ihrem Amt in chronischem Leistungsdrang immer ergebenen Beamten eines Dienstes ist Chef und Kollege gerne einverstanden, daß ihnen die Möglichkeit geboten wird, dem Staat ihre Arbeitstüchtigkeit bis an die Grenze zu widmen, die ihnen die Natur und nicht das Gesetz gesteckt hat.“
„Es wäre so einfach!“ sagte er. „Aber das ist es ja grade. Grade das Einfachste wird nie getan, bis ein Columbus kommt, der dem Ei die Spitze einstößt.“