Original

21. November 1924

Mein lieber junger Freund!

Aus Ihrem Brief entnehme ich, daß Sie etwas Rauschendes in der Liebe erlebt haben und es nun gestalten wollen.

Das heißt also, daß Sie schon halb und halb darüber weggekommen sind. Oder nicht? Dann lassen Sie es um Gottes willen noch abkühlen, sonst wird nur Gestammel daraus. Gewinnen Sie Abstand, Höhe, werden Sie des Erlebens Herr und gebären Sie es neu aus sich heraus, dann gelingt Ihnen ein Werk.

Das schaffende Ingenium ist wie das Objektiv in der Photographie. Es will auf das Leben genau eingestellt sein, sonst entsteht kein Bild, an dem man Freude hat. Oder sagen wir so: Weißglühendes Metall läßt sich nicht ordentlich schmieden, so wenig, wie weißglühende Leidenschaft. Die Funken fliegen vielleicht, daß es blitzt, aber Sie sind der Form nicht Herr, und formlose Meisterwerke gibt es nicht.

Wenn Sie sich der Dichterei ergeben, werden Sie diese Feststellungen später einmal nicht mehr als Pedanterie empfinden. Sie werden vor allen Dingen die Erfahrung machen, daß zum Beispiel von allen Verliebten keiner so unbeholfen im Ausdruck seiner Gefühle ist, wie der Dichter, solange seine Gefühle wahr und tief, das heißt unabgeklärt sind. Er ist, wenn er wahr bleiben will, direkt dumm. Erinnern Sie sich nicht, daß in allen Romanen oder fast allen die Dichter als Liebesleute am schlechtesten wegkommen? Sie werden als Phrasendrescher und oberflächliche Gefühlsduseler hingestellt. Weil in dem Augenblick, wo sie ihrer Gefühle Herr geworden sind und sie in druckreife Form kleiden können, die Leidenschaft verflogen ist. Es muß für einen Menschen, dessen Kunst in der druckreifen Fassung von Gedanken und Gefühlen besteht, eine Qual sein, nach der Unmittelbarkeit des Ausdrucks zu ringen. Jeder Satz, der sich ihm auf die Zunge drängt, muß ihn schrecken, weil er gemacht, gekünstelt, literarisch, allzu fertig und zu wenig unmittelbar klingt. Nur die ganz Hartgesottenen bringen es fertig, sich darüber wegzufetzen. Wie heißt nur in Daudet’s „Sappho“ der Poet, der mit der Heldin früher ein Verhältnis hatte und in seinen Briefen manchmal in einem Postskriptum schrieb: „Heb mir diesen Brief auf, ich finde beim Überlesen darin allerlei, was mir nicht übel gefällt und was ich später in einem Buch verwenden kann.“

Das ist der Dichter, wie ihn die Romanschriftsteller als Typ herausgearbeitet und verächtlich gemacht haben, der berufsmäßige Produzent von schönen Gefühlen, die er kaufmännisch verwerten muß, um davon zu leben. Sie sind ein junger Dichter, der noch wahr zu empfinden vermag, und Sie werden ein- sehen, daß sich mit dem ganz grünen Gefühlsgemüse wenig Prattisches anfangen läßt.

Also legen Sie Ihre Erlebnisse hübsch zurück, überwinden Sie die Krisis, warten Sie, bis Sie ruhig und Ihrer selbst sicher über dem Konflikt stehen. Dann werden Sie es erleben, daß bei Ihren Kohlen die andern schmelzen, während Sie kühl bis ans Herz hinan dabei stehen und denken: Meminisse juvabit.

Nur wenn Sie sich in Briefen ausströmen wollen - und können -, finden Sie auch für das Intimste und Unmittelbarste die richtige Form. Darum sind die Frauen uns im Briefschreiben über, und darum greisen Ihnen zum Beispiel die Briefe Dehmel’s so warm ans Herz.

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KatalognummerBW-AK-012-2774