Original

26. November 1924

Tagelang, nachdem Herriot wie ein Meteor durch unsern Gesichtskreis gefahren war, blieb er der Held des Tages. Er ist eine starke Persönlichkeit, sagten sie von ihm. Er ist expansiv, er wirkt um sich herum, aus sich heraus. Die natürlichste Bewegung ist ihm das Händeausstrecken. Seid umschlungen Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt.

Solche Menschen gibt es. Sie stehen anhaltend unter Pression. Das Leben spritzt ihnen aus allen Poren. Ihr Temperament hat die Schönheit des Teufels, wie man in Frankreich sagt. Das heißt: Die Schönheit der Jugend, weil auch der Teufel in seiner Jugend schön gewesen sein muß.

Das sicherste Zeichen des Alters ist es ja umgekehrt, wenn einer nicht mehr um und aus sich wirken kann, wenn er unterm äußern Druck des Lebens zusammenschrumpft, wie ein Meßschweinchen, wenn die Welt auf ihn eindringt und ihn unter sich begräbt.

Herriot ist einer der Menschen, die auf ihre Umwelt abfärben. Das ist es. Nichts gibt ein besseres Bild der Macht einer Persönlichkeit, als ihre Färbekraft. Herriot ist wie ein Klumpen Anilin. Sagen wir: Rotes Anilin. Wo er einmal flüchtig durchkommt, färbt sich alles rot - oder reagiert alles auf rot. So war es hier, so war es überall, wo seine Persönlichkeit zu wirken Gelegenheit hatte.

Menschen reagieren immer aufeinander, wie Farben. Die Schwingungen ihrer Seelen ergänzen sich, gehen parallel oder durchkreuzen einander. Ihre Seelen sind komplementär oder sie erzeugen im Zusammentreffen Mißfarben.

Eine Frau mit denetianisch-blondem Haar - so heißt bei Frauen das Haar, das bei Männern rot genannt wird - weiß genau, daß mauve sie am besten kleidet, selbst wenn ihr nie jemand gesagt hat, daß violett und grüngelb komplementäre Farben sind, also in ihrer Mischung weiß ergeben.

Was bei den Farben weiß ist. ist bei den Seelen die Gelöstheit in Glück, der Friede, die Harmonie, das endgültig Richtige, von jeher Beschlossene. Die Menschen sind zueinander komplementär, wie die Farben, und wenn ihrer zwei aneinander geraten, ohne komplementär zu sein, so weiß Gott, was für eine Seelendisharmonie dabei herauskommen kann.

Professor Jäger behauptete seinerzeit, die Seelen riechen zu können. Warum nicht? Aber die Farben find stärker, als der Geruch. Jedem ist es vorgekommen und kommt es tagtäglich vor, daß ein Mensch auf ihn abfärbt, daß seine Gedanken, sein Fühlen, seine Träume, seine Hoffnungen, seine Sehnsüchte die Farbe jenes einen tragen. Auch ohne an ihn zu denken ist Deine Seele voll seines Widerscheins, sie ist wie die Blume, deren Kelch durch die Nahrung gefärbt ist, die ihre Wurzeln aus dem Boden saugen. Du kannst Dich der neuen Farbe nicht erwehren, jener Mensch, der über Dich Macht gewonnen hat, ist in Dir und um Dich, seine Seele schwingt mit Deiner oder gegen sie, die Schwingungen vereinigen sich zu dem seligen Weiß des Glücks oder zur Mißsarbe des Unglücks.

Sie sagen, auch diese Farben verblassen allmählich an der frischen Luft und an der Sonne.

Wenn sie unecht sind.

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