Original

27. November 1924

Was vorauszusehen war, ist eingetroffen.

Sie haben alle das Retlameptekat für die sechste internationale Brüsseler Mustermesse gesehen.

Nun gut, die Wisseler Schneiderzunft hat an alle Städte, in denen ihrer Vermutung nach dies Plakat aufhängt, ein Protestschreiben gesandt, das in der Übersetzung - das Original ist französisch und vlämisch - ungefähr folgendermaßen lautet:

„Sehr geehrte Munizipalität!

Der unterzeichnete Ausschuß des Verbandes Brüsseler Herrenschneidervereine gestattet sich, in einer äußerst wichtigen Angelegenheit an Ihr Wohlwollen und Ihren Beistand zu appellieren.

An den Mauern und Anschlagsäulen Ihrer weit renommierten und reizend gelegenen Stadt prangen seit einiger Zeit farbige Plakate, die für die nächste Brüsseler Mustermesse Propaganda machen sollen und vielleicht auch machen. Wie dem auch sei, so steht schon jetzt fest, daß diese Plakate dem hochgeachteten Stand der Brüsseler Herrenschneider unberechenbaren Schaden zuzufügen geeignet sind.

Diese Besorgnis gründet sich auf die Rückenansicht eines Mannes, der auf jenem Plakat das rechte Drittel des Vordergrundes einnimmt. So schief dieser Buckel auch sein mag, schiefer noch ist das Licht, das er auf unser Können wirft. Alles berechtigt zu der Annahme, daß der Maler dieses Plakats in heimtückischer und boshafter Absicht gegen uns gehandelt hat. Wir wollen nichts insinuieren, aber aus der Kunstgeschichte sind Fälle bekannt, wo Maler wegen Nichtmehrpumpenwollens seitens ihres Schneiders in ähnlicher Weise eine niedrige Rache übten.

Der Rücken am Rock dieses Mannes kann nur den Zweck, muß jedenfalls aber das Ergebnis haben, daß jeder Beschauer sich sagt: Pfui Deubel! (im vlämischen Text steht: Godo ......!) Laufen in Brüssel die Herren in solchen Karikaturen von Jacken herum!

Und dann erst die Hosen! Der ärmste Zigarrenstumpfsammler von hier ließe sich lieber vechungern, als daß er eine solche Spottgeburt von Beinkleid sich an die Spazierholzer streifte. Solche Hosen sieht man höchstens bei den Statuen der Staatsmänner und sonstigen Zivilgrößen, die vor Erfindung der Bügelfalten in Bronze gegossen wurden.

Nein, meine Herren! So läßt sich der weithin hochgeachtete Stand der Brüsseler Herrenschneider nicht in den Kot ziehen. Wir sind bekannt dafür, daß wir unsern Beruf als Künstler auffassen. Dem Geringsten von uns kehren sich beim Anblick dieses schiesen Rockes die Eingeweide vor Entsetzen im Leib herum. Das ist kein Mann, das ist eine Wendeltreppe! Solcher Schnitt knirscht einem buchstäblich unter den Zähnen. Jeder von uns, dem ein ähnliches Verbrechen nachgewiesen würde - ein Verbrechen, jawohl, meine Herren! -, er würde sich voll Verzweiflung in die eigene Schere stürzen, ein Vatel der Schneiderkunst! Was müssen unsere Kunden im Ausland von uns denken! Wir sind geschädigt, um Millionen geschädigt, helfen und den ominösen, verhunzten Rock nicht gleich überkleben lassen.

Man komme nicht sagen, das Plakat sei gut gemalt, ein Maler sei kein Schneider usw. Wir stehen auf dem Standpunkt, wenn einer keine ordentlichen Hosen und Röcke malen kann, so soll er sich auf das Malen des ältesten Bürgers von Brüssel mit Vornamen Männeke beschränken. Der trägt im Gewöhnlichen weder Rock noch Hosen.

In der Hoffnung, daß Sie, geehrte Herren, unserer Bitte usw. usw.“

Wie vorsichtig - merkt man jetzt erst - war es von Gust. Tremont, daß er auf das Plakat für die letzte Luxemburger Mustermesse einen Löwen und keinen Luxemburger im Stadtanzug gemalt hat!

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KatalognummerBW-AK-012-2779