„Musik erfreut des Menschen Herz!“
Fernand Mertens will es morgen wieder in dem Konzert beweisen, das er im großen Cercle-Saal mit dem Militärorchester und einigen auserlesenen Kunstkollegen veranstaltet.
Es sind morgen fünfzehn Jahre her, seit er den Dirigentenstab der Militärkapelle in die Hand nehmen durste, als vierter großherzoglich luxemburgischer Militärkapellmeister seit dem Abzug der Preußen, 1867, und der Vereinigung der beiden Korps von Diekirch und Echternach zur einheitlichen Militärmacht in Luxemburg. Auf Hoebig, den Großvater der bekannten luxemburger Komponistin Lou Koster, war Philipp Decker, auf diesen Kahnt gefolgt, der gegen Ende seiner Laufbahn von dem Mitglied der Wiener Deutschmeisterkapelle Patzke zeitweilig abgelöst wurde.
Dann kam Fernand Mertens. Er hat durch fünfzehn Jahre die Kunst verstanden, seine Kapelle so zu führen, daß sie ihre Aufgabe künstlerisch in musterhafter Weise erfüllte, und daß seine Autorität über seine Leute zu keiner Zeit die leiseste Einbuße erlitten hat. Sie stehen zu ihm in einem Verhältnis, das ganz auf ihrer Achtung vor seiner beruflichen Tüchtigkeit und seinem liebenswerten Menschtum und umgekehrt seiner vollen Anerkennung ihres Wertes beruht.
Die Luxemburger werden ihm morgen nachmittag die verdiente Ovation nicht vorenthalten.
Zu den Tugenden, die einem Menschen und Künstler am schönsten anstehen, gehört die Dankbarkeit. Fernand Mertens will seinen Ehrentag von morgen zum Ehrentag seines verehrten Meisters Emil Mathieu machen.
Emil Mathleu ist 1848 in Lille als Sohn eines belgischen Opernsängers geboren. Er machte seine Studien an der Musikschule von Löwen, deren Direktor er 1880 wurde. Er war achtzehn Jahre lang die werbende und spendende Seele des Musiklebens in Löwen, das sich in gradezu idealer Weise entfaltete, weil Mathieu nicht nur als Musiker, sondern als Mensch eine Perle war. 1898 wurde er Direktor des Konservatoriums von Gent und blieb es 25 Jahre lang, bis er 1923 mit 75 Jahren in Pension ging.
Von seinem Wirken kann man sagen, daß es das ganze bürgerliche Leben mit Musik durchtränkte. Das Reich der Töne war ihm nicht ein eifersüchtig umhegtes Gebiet, das nur Auserwählte betreten durften es war ihm ein großes, gottbegnadetes Land, in dem Arme und Reiche ihren Platz hatten. Er brachte es fertig, daß bescheidene Handwerker unter seiner Leitung ihr Instrument erlernten, bis sie mit einem ersten Preise abgingen, und daß es so unter der ganzen Bevölkerung Künstler gab, die ihren bürgerlichen Beruf als Schneider, Tischler, Schuster usw. ausübten und ihr Leben lang Musik zu ihrer eigenen Freude weiter trieben, nicht als blutige Dilettanten, sondern als konservatoristisch gebildete Künstler. Ist das nicht der idealste Zweck, den ein Konservatortum ersüllen kann, dies Hineintragen höchster Maßstäbe in die volkstümliche Kunst, dieses Durchdringen des Volkskörpers mit einem technischen Können, das zu einem breit strömenden. Quell edelsten Genusses werden kann!
So war es Emil Mathieu möglich, um sich eine achtunggebietende Zahl von Kräften zu scharen, mit denen er Orchester- und Chorwerke größten Stils aufführen konnte. Und es darf ein gradezu ergreifendes Schauspiel genannt werden, wie diesem Mann rein aus menschlichem Zutrauen heraus alle zuströmten, die unter seiner Leitung zu Künstlern geworden waren und ihm nun halfen, seine Ideale zu verwirklichen.
Er war in Gent der Lehrer Fernand Mertens’, der von hier aus das dortige Konservatorium besuchte und von Mathieu jedesmal privatim einen unentgeltlichen zweistündigen Kursus in Kompositionslehre empfing.
Wie er seinem Meister Ehre gemacht hat, als Komponist, als Lehrer, als Dirigent und als Mensch, das wissen wir. Und wir werden glücklich sein, den Maëstro Mathieu, den rüstigen Schöpfer so vieler ausgezeichneter Tonwerke, morgen während der zweiten Hälfte des Konzerts am Dirigentenpult zu sehen und ihm zu bescheinigen, daß die Zivilstandsregister von Lille seinen Geburtstag ganz sicher um einen Zwanziger vordatiert haben müssen. Oder ist es wahr, daß die unverwüstliche Laune, die ihn nie verließ, der Jungbrunnen war, der ihm erlaubt, den Jahren ein Schnippchen zu schlagen?
Das Konzert gewinnt noch außerordentlich an Interesse dadurch, daß die jugendliche Gemahlin Mathieu’s, die hochgeschätzte Sängerin Cecil Gren, den Gesangspart in zwei der Kompositionen ihres Gemahls übernommen hat, die morgen unter seiner Leitung ihre Erstaufführung erleben, und daß Fernand Mertens einer hochbegabten jungen Luxemburgerin, der Pianistin Fräulein Maria Govers, Gelegenheit gibt, an seinem und seines hochverehrten Lehrers Ehrentag vor das Publikum zu treten.