Man sitzt allein im Zug, hat seine Zeitung gelesen, seine Pfeife gestopft, kennt die Landschaft auf der Strecke auswendig - da verfällt man darauf, das Geschriebene an den Wänden des Abteils zu lesen.
Défense de eracher!Verboten zu spucken!Niet spuwen!Please do not spit!Sage mir, wie du das Spucken verbietest, und ich sage dir, wer du bist.
Die Engländer stehen bekanntlich auf dem europäischen Festland im Ruf, die größten Grobiane zu sein. Man behauptet von ihnen, sie seien grob aus Temperament, kurz angebunden, legen die Füße auf den Tisch oder auf den Sitz neben ihrem Gegenüber, treten ohne Pardon zu sagen einer Dame auf den Fuß, zucken im besten Fall die Achseln und sagen:
I can’t help it.
Und hier! Eine auserlesene, relativ auserlesene Höflichkeit. Please, das heißt, wenn es Ihnen gefällig ist, do not spit, tun Sie nicht ausspucken, gelle nicht, es wäre so nett von Ihnen! Man sieht förmlich Herrn Lloyd George oder Herrn Ramsay Macdonald oder gar Herrn Bernard Shaw dastehen, ein gewinnendes Lächeln in den Zügen und hört sie sagen: „Se ist’s recht, lieber Herr, ich hatte nicht weniget von Ihnen erwartet. Sie sind ein Gentleman. Have a drink?“
Der Vlame sagt behäbig: Niet spuwe! Nicht spucken! Kürzer und bündiger ist es nicht möglich. Kein Verbot, keine Bitte. Ein Rat? Eine Feststellung? Kurzum, jeder weiß, was er zu tun hat. Niet spuwe! sagt der Vlame, nimmt seine lange irdene Breughel-Pfeife aus dem Mund und spritzt zwischen den Zähnen einen Strahl Spuck in flachem Bogen hinaus.
Jetzt wird die Sache ernst. Franzosen und Deutsche spassen nicht mit dir, wenn du dir das Spucken nicht abgewöhnen willst. Hier stehst du einem ausdrücklichen Verbot gegenüber. Wie sonderbar, daß grade Franzosen und Deutsche, die wir als krasse Antipoden in bezug auf Kultur, Denkart, Lebensweise, Umgangsformen usw. aufzufassen pflegen, der Unsitte des Spuckens gegenüber dieselbe Gebärde gefunden haben. Défendu, verboten, damit basta! Das ist der kategorische Imperativ, da kann keiner sagen, er habe gemeint, es sei Spaß! Verboten! Dahinter steht die Behörde, der Gendarm, das Polizeigericht, die Buße, im Widersetzungsfall der Kerker. Und die allerletzte Konsequenz einer Verbotsübertretung ist der Tod. Denn: Force doit rester à la loi! Hinter jedem Verbot steht der Staat mit der erdrückenden Wucht seiner Machtmittel, der zum Äußersten entschlossen ist. Das Mundvoll Spuck, das du gegen den Willen des Staates auf den Boden schleuderst, kann zur tosenden Brandung werden, die dich verschlingt.
Alle andern bitten dich nicht zu spucken, oder sie kleiden den Satz gegen das Spucken in eine harmlose Form.
Hat es am Ende doch etwas zu bedeuten, daß die zwei Erbfeinde für das Spuckverbot dieselbe staatbetonende Formel gesunden haben?
Sie sehen, auf was für weit ausholende Gedanken man kommen kann, wenn man allein im Zug sitzt, hat seine Zeitung gelesen, seine Pfeife gestopft und kennt die Landschaft der Strecke auswendig.