Original

10. Dezember 1924

„Unfug und Wohltätigkeit“ könnte man diese Zeilen überschreiben.

Es hat sich hier seit geraumer Zeit eine ganz besondere Technik des Unfugs auf dem Gebiet der Wohlätigkeit herausgebildet. Der Fall wiederholt sich so oft, daß er schon typische Form anzunehmen, endemisch zu werden droht, und daß endlich energisch dagegen Stellung genommen werden muß.

Die Wohltätigkeit ist ein so guter Zweck, daß man in Betracht der Mittel schon durch die Finger sehen könnte, wenn der Zweck erreicht würde.

Aber er wird nicht erreicht, und die andern Zwecke, die Peter und Paul dabei verfolgen, werden auch nicht erreicht.

Die Triebfeder ist nicht das dringende Bedürfnis des Wohltuns, sondern der Ehrgeiz.

Schemotisch dargestellt verläuft die Sache etwa so:

Handelnde Personen: Ein Vereinspräsident, ein Vereinskomitee, ein Dirigent, ein Komponist, ein Dichter, Volk. (Das Volk sind die Vereinsmitglieder. Das Volk weiß meist von nichts, bis es übers Bezahlen hergeht.)

Der Vereinspräsident hat ein Knopfloch, der Komponist, Dirigent und Dichter haben Stirn und Schläfen. Das Knopfloch sehnt sich nach einem Orden, wie der Hering nach der Auster, Stirn und Schläfen sehnen sich nach dem Lorbeer Mozarts, Offenbachs, Dicks’ und Schillers.

Also wird beschlossen, der Öffentlichkeit zu zeigen, was eine Harke ist. Man veranstaltet eine Wohltätigkeitsvorstellung zugunsten eines Werkes. An Werken fehlt es ja nicht. Es gibt noch nicht so viele Werke, wie Knopflöcher, aber das kann noch kommen. Also man nimmt eines der zahlreichen Werke aufs Korn.

Hat man ein Werk gefunden, zu dessen Gunsten man spielen will, so ist allerlei erreicht. Erstens bekommt man den Cercle-Saal und das Theater leichter und billiger. Zweitens stellt man sich unter das Protektorat einer hohen, höchsten oder allerhöchsten Stelle. Drittens bringt man die Damen, die sich für das Werk aufopfern, auf die Beine - alte und junge Beine - und läßt sa die Eintrittskarten kostenlos verhökern.

Das Stück? meinen Sie.

Ach ja, zum Spielen gehört ein Stück. Warum hätten wir denn den Dicher, dessen Busen von der Gier nach Ruhm und Lorbeer bis zum Bersten geschwellt ist. Ein Stück? Flugs geht er hin und holt sich bei Kotzebue oder andern, die ihm zeitlich näher stehen, eine Idee und macht ein Stück daraus. Was sage ich, eine Idee? Er nimmt das ganze Stück und arbeitet es um, indem er daran den Titel ändert und den Namen des Verfassers durch seinen eigenen Namen ersetzt. Und statt „Wilhelm Tell, von Friedrich Schiller, lesen wir auf den Programmen: „Scheibenschießen im Ösling“, Drama von Nikolas Schrobiltgen, Musik von Anton Zillebecker. Denn der Komponist und Dirigent muß auch auf seine Rechnung kommen, er will vor einm auserlesenen Publikum und dem hohen Protektor das Werk dirigieren, das ihm den Weg zur Unsterblichkeit zu bahnen bestimmt ist. Also setzt er Schiller-Schrobiltgen oder SchrobiltgenSchiller in Musik.

So hat jedermann seine Pflicht getan, der Vereinspräsident, der die Anregung gegeben, der Dichter, der das Stück geschrieben, der Dirigent, der es in Musik gesetzt hat, die „Werk“-Damen, die die Eintrittskarten vertrieben, der Protektor, der seinen Namen gekiehen, die Vereinsmitglieder, die sich in den Proben abgerackert haben.

Der große Abend kommt. Der Reinertrag zugunsten des Werkes beträgt minus 147.37 Franken.

Wie soll dem gesteuert werden? Diese Veranstaltungen dürfen beileibe nicht abgeschafft werden, sie sind eine Art Sicherheitsventil für den Trieb, mit Werten der Musik und Literatur und mit gähnenden Knopflöchern an die Öffentlichkeit zu kommen.

Aber wer mit solchem Trieb behaftet ist, soll es sich etwas kosten lassen. Er müßte, bevor ein Werk, ein Protektor und die Stadtverwaltung für seine Wohltätigkeitsvorstellung zu haben sind, eine bestimmte Summe pränumerando bezahlen, die zugunsten des Werkes verfallen wäre, wenn nichts herauskäme, und die anderufalls vom Erlös abgezogen werden könnte.

Wieviel? Ich schlage 500 Franken vor. Ich wähle diese Ziffer, weil an das St. Nikolaus-Werk aus dem Verkauf der von Frantz Seimetz geschenkten Zeichnungen bare 500 Franken abgeführt werden konnten.

Was ein anerkannter Künstler in seiner Uncigennützigkeit für einen wohltätigen Zweck tun kann, das müßte jeder garantieren, der sich unter dem Vorwand der Wohltätigkeit in die Front drängt.

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