Die schönsten Weisen werden uns durch Drehorgeln verleidet und die einleuchtendsten Wahrheiten durch Sprichwörter oder Redensarten gemein gemacht.
„Wie die Zeit vergeht!“ sagen wir ohne Nachdenken, nur um etwas zu sagen, wie die Hühner auf dem Mist vor sich hinglucksen. Und sagen damit Großes, Endgültiges manchmal.
Wir meinen damit nicht, wie langsam die Zeit vergeht. Das drückt man weniger durch Worte, als durch Gähnen und Seufzen aus. Wir meinen nur, wie rasch die Zeit vergeht. Und wir merken es am besten, wenn wir uns in der Zeit von etwas Überragendem entfernen, das so groß und gewaltig ist, daß wir es immer im Auge haben und nicht an den Weg denken, der sich schon von ihm bis zu uns hinzieht und immer länger wird. Bis wir uns an einen Meilenstein stoßen und uns der Entfernung bewußt werden.
So geht es uns mit dem Krieg.
Ich ließ jemand ein Tagebuch lesen, das in den ersten Kriegsmonaten geschrieben ist. Als er es mir zurückbrachte, sagte er: „Wie die Zeit vergeht! Von alledem wußte ich nichts mehr!“
Er ist heute tot. Ich glaube wenigstens, daß er tot ist. Jedenfalls verschollen.
Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß in der Sekunde, wo Sie die Nachricht vom Tode eines geliebten Menschen empfangen, die Zeit plötzlich einen Satz tut über Tage, Wochen, Monate, Jahre hinweg, von dem Augenblick, wo Sie ihn kennen lernten bis zur Minute, wo Sie ihn verloren? Vor dieser Minute war eine Zeit, in der Sie wundergläubig ein Glück sahen, das nie in die Wirklichkeit gehörte, - die Zeit springt jählings aus Licht und Glanz ins Dunkel und Sie stehen wieder betäubt und unsicher im Alltag und suchen Ihren Weg durch Gewöhnung und Wirklichkeit weiter.
Und dann entschädigt sich die Zeit für die Anstrengung des Rucks, den sie sich gegeben hat, und schleicht dahin, quälend und klebrig, aufdringlich wie die Weise der Echternacher Springprozession: Adam hatte sieben Söhn’ - sieben Söhn’ hat Adam - drei Schritte vorwärts, zweie zurück. Was Du im Tag überwunden und zurückgelegt glaubst, kommt nachts zurück und kreist um Dich herum bis zur Morgenhelle. Drei Schritte vorwärts, zweie zurück!
Aber schließlich bilden wir uns nur ein, daß sich die Zeit schnell oder langsam an uns vorbeibewegt, aus der Ewigkeit herauf wieder in die Ewigkeit hinunter. Das Tempo liegt an und in uns. Die Zeit ist der Strom, der das Werk treibt und das Werk sind wir, ist unsere Seele. Glück und Frohsinn sind für sie das Öl, das die Reibungsflächen glättet und den Lauf des Räderwerks beschleunigt. Dem Glücklichen läuft die Zeit so rasch, daß ihm keine Stunde schlägt.
Es kann aber sein, daß das Öl im Räderwerk fehlt, daß es an allen Ecken und Enden knarrt, daß sich Achsen warm laufen, - die Zeit schleicht langsam und das Leben ist eine Last -, und daß die Maschine zerbricht und in Trümmer fällt - die Zeit steht still.