Original

18. Dezember 1924

Der Weihnachtsbaum hat allmählich auch manche Familien in Luxemburg erobert und deren Mitglieder auf den sogenannten Bescher-Abend, den Vorabend von Christiag festgelegt.

Es kann aber sein, liebe Leserin und lieber Leser, daß Du zu diesen nicht gehörst, und daß für Dich hinter dem Abend des 24. Dezember das große Fragezeichen sieht: Wo soll ich hingehen?

Ich weiß es und werde es Dir sagen.

Ich will Dich nicht in einen Verein locken, den ältere Damen und späte Mädchen als Junggesellenoder Ledigenheim gegründet haben mit dünnem Tee, Harmoniumspiel und Patiencelegen.

An dem Abend, den ich meine, werden ausschließlich junge Damen, ich wage sogar zu sagen: Junge Mädchen für Deine Unterhaltung sorgen.

Sie sind die Zukunft des Geschlechts, die Blüte der Rasse. Sie nennen sich die Girl-Guides, die braunen Biwack-Ratten. Sie sind die Cow-Boyistinnen mit den feierlich-feschen Stetson-Hüten und dem zu prickelnder Lieblichkeit gezähmten Wild-West-Übermut. Die Sphinx ist in ihnen bezaubernd wiedergeboren. Die Zwiefaltigkeit des alten Fabeltieres ist bei ihnen in frische, frisch gelüftete und gebadete Mädchenhaftigkeit aufgelöst, die uns Stärkeren dadurch Anerkennung zollt, daß sie über die Grenzen des Märchenlandes Weiblichkeit männlichen Schneid importiert und als Kohlensäure verwendet.

Sie versenden ein witziges Programm. Am Mittwoch, 24. Dezember, von 9 Uhr abends bis Sonnenaufgang, werden sie für 3 Franken à Person das ganze Hotel Metropole in der Neutorstraße mit reiner Kunst und Heiterkeit füllen.

Das Ganze beginnt mit Flöten und Geigen, Trommeln und Trompeten und endet mit Tanz. Dazwischen Gesang, ein Cello-Solo von Lory Koster, als Nixe Lorelei verkleidet, ein eigens für die Gelegenheit verfaßtes, ebenso anonymes wie dreisprachiges Theaterstück, und um Mitternacht das Leiblied der seligen Herren Jean Baptiste Faure und Arthur Bloch: Minuit Chrétiens!

Über das Theaterstück werde ich Ihnen nichts Näheres verraten, nicht nur, weil ich darüber nichts weiß, was eigentlich für einen Berufstheaterberichterstatter kein Grund zu sein braucht, sondern weil ich darüber im voraus nichts wissen will, und weil ich Ihnen und mir die Überraschung nicht verderben will. Die Überraschung ist in solchen Fällen alles. Sie ist der Pfropfen auf der Ladung, ohne den Pfropfen verzischt das Pulver in die Luft und es gibt keinen Knall. Also freuen Sie sich auf den Knall, bezähmen Sie Ihre Neugier und begnügen Sie sich mit dem Personenverzeichnis, das, ich muß gestehen, Ihre Neugier zu fieberhafter Spannung zu steigern geeignet ist. Der Titel heißt „Les Ahurissements de la Dame en Noir“, zu deutsch: Wie eine Dame in Schwarz aus den Wolken fällt.

Ich habe nie eine Dame in Schwarz aus den Wolken fallen sehen. Sie auch nicht. Also!

Die handelnden Personen sind: Frau Schrobiltgen (geborene Biltgen, verwitwete Schro); ihre Tochter Kotik; Elfrieda, ihr Dienstmädchen; die Dame in Schwarz; Marcel XLIV. König auf dem Mars; ein geheimnisvoller Herr Pagong; ein mit I numerierter Marsbewohner; andere Bewohner desselben Planeten (kein Wunder, daß die Dame in Schwarz aus den Wolken fällt, wenn sie sich in solcher Gesellschaft bewegt).

Etwas sei noch besonders hervorgehoben, als Beweis dafür, wie die Gastgeberinnen so jung schon Wesentliches im Leben erkannt haben: Die Orchesterstücke werden nicht lang und die Pausen werden sehr kurz sein. Und das Ganze geschieht nicht zu einem wohltätigen Zweck.

Ich mache Schluß, sonst wird das Gedränge am Mittwoch Abend derart, daß schwächere Personen erdrückt werden könnten. Nicht nur im Tanzsaal, sondern schon am Eingang.

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  • new cultural customs: x-mas tree
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KatalognummerBW-AK-012-2796