Original

23. Dezember 1924

Etwas, wovon entschieden nicht genug gesprochen und geschrieben wird, ist das Thema „Kunst in der Schule“.

Die Geschmacklosigkeit macht sich heute mehr denn jemals, seit die Welt besteht, in den Heimstätten der weitaus meisten Menschen breit. Sie nimmt allerhand Formen an. Eine der übelsten Formen ist die Überladenheit. Überladenheit mit Kitsch ist die Signatur des Jahrhunderts. Sie ist es, weil die andre Signatur des Jahrhunderts die Maschine ist. Solange die Maschine Nützlichkeit herstellt, ist sie zu loben. Stellt sie aber Schönheit her, so kann sie zum Fluch der Menschheit werden. Wenn eine Blume, die entweder gewachsen oder von der Hand eines gottbegnadeten Künstlers geschaffen sein muß, um schön zu sein - wenn diese in einer Form hunderttausend- mal aus Zinn gegossen, wenn das Zinn dann auch noch bronziert wird, um die Lüge voll zu machen, dann ist damit der Menschheit kein Dienst geleistet.

Gegen die Geschmacklosigkeit, in die durch die Fabrikware das Leben der Massen buchstäblich getaucht ist, kann am besten die Schule reagieren. Wie sie es tun soll, das sagt in einem der letzten Hefte der französischen Gesellschaft für Kunst in der Schule Herr Gaston Varenne. Er geht von dem äußerst vernünftigen, aber oft verlassenen Standpunkt aus, daß man, um bei Kindern den Blick für Schönheit und Kunst zu schärfen, ihnen nicht gleich die Stanzen von Raffael oder die Nachtwache von Rembrandt an die Schulwände zu hängen braucht. Er hält es mit Recht für das Wichtigste, daß der Schulsaal Luft und Licht habe, daß es darin heiter aussehe, daß er mit Blumen geschmückt sei. Das hat mit Kunst vorläufig wenig oder gar nichts zu tun, aber die Kinder. lernen so ein Wichtiges, ohne das ein Mensch niemals zu richtigem Kunstgeschmack und Kunstgenuß gelangen wird. Sie lernen den Reiz des Einfachen und Natürlichen schätzen, sie atmen und entwickeln sich ohne Zwang, harmonisch, in einer Umwelt, in der alles ihnen zulächelt.

In zweiter Linie erst kommt die wirkliche Kunst in Werken von Menschenhand an die Reihe. Aber auch dann noch in ihren einfachsten Kundgebungen: Helle Wandflächen mit einfachen, farbenfrohen Dekorationen, die das Auge nicht verwirren, sondern durch schöne Regelmäßigkeit und helle, sorgfältig abgestimmte Farben erfreuen. Die Wände sollen gleichsam in Form und Farbe erklingen, wie jene schlichten, in aller Schlichtheit klassischen Weisen, mit denen ein vernünstiger Musikunterricht schon in der ersten Zeit die Schüler vertraut macht. Der Ästhetik und der Hygiene zugleich dient ein Wandbelag aus farbigen Majolikaplatten, in deren Tönung, durch das Brennen erzeugt, oft die raffiniertesten Stimmungen und Nüancen hervortreten und deren blitzblanke Lasur gradezu als Aufforderung zur Sauberkeit wirkt.

Alsdann sollen die Wände einen Bilderschmuck erhalten, der aber nicht Unterrichtszwecken dienen dars. sondern einen wirklichen Schmuck für die Schule bedeuten muß. Man denkt dabei an die Anschauungstafeln, für die eine Zeitlang eine förmliche Begeisterung herrschte. Man beginnt einzusehen oder hat längst eingesehen, daß man damit auf dem Holzwege war. Oder ist es nicht ein pädagogischer Unsinn, daß man in einer Dorfschule Bilder aufhängt, auf denen in unmöglicher Zusammenwürfelung Menschen, Tiere und Dinge zu sehen sind, die das Bauernkind tagtäglich um sich herum sieht? In vielen Fällen sind diese Bilder eine wahre Irreleitung der Phantasie und des Geschmacks. Dasselbe oder Ähnliches ließe sich sagen von einem sogenannten Wandschmuck, der patriotischen oder konfessionellen Zwecken dient.

Die Wahl der Bilder, von denen eine Erziehung des Kindes zu gesundem Geschmack erwartet werden kann, ist nicht einsach, und darum ist ein Verein, der in dieser Beziehung Fingerzeige gibt, Auswahl trifft Beschaffungserleichterungen bietet usw. unentbehrlich. Unser Berein „Kunst in der Schule“ hat seine Lebensfähigkeit bewiesen und er verdient die ausgiebigste Unterstützung.

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KatalognummerBW-AK-012-2800