In Paris regen sich die Leute von Gefühl zurzeit heftig über die Scheidungsklage auf, die ein Arzt gegen seine Frau angestrengt hat. Sie raten im Leben nie, welchen Scheidungsgrund er angibt.
Also: Sie mußte sich einer Operation unterziehen. Er ist ein bekannter Chirurg. Aber sie weigerte sich, von ihrem Mann sich operieren zu lassen und verlangte nach dessen Assistenten. Die Operation gelang, die Frau wurde gesund und jetzt beantragt der Gatte die Scheidung, „weil das Weib, das er am meisten auf der Weltbeleidigt habe.“
Der Korrespondent des „Berliner Tageblatt“, der über den Fall berichtet, stellt sich ritterlich auf die Seite der Frau und versieht das Vorkommnis mit folgendem Kommentar:
„Natürlich kann der Mann seine Auffassung verteidigen. Er kann sagen, daß er von seiner Frau unbedingtes Vertrauen verlangt. Wer soll ihm vertrauen, wenn sein eigenes Weib an ihm zweifelt? Er kann behaupten, daß seine Selbstbeherrschung jede Nervenerschütterung überwindet. Er kann sagen, daß ein richtiger Arzt alle seine Empfindungen ausschaltet, wenn er sein geheiligtes Amt ausübe. Er kann noch manches andere sagen, was, vom Standpunkt der Wissenschaft aus vorgetragen, sehr plausibel klingen mag. Nur eines kann er nicht mehr sagen: daß er seine Frau lieb hat. Denn wenn er sie wirklich liebt, dann würde er sich bemühen, sie besser zu verstehen. Dann würde er nicht sein bißchen Ansehen so eitel einschätzen, daß er sich beinahe schon lächerlich macht.“
Ich möchte einen Schritt weiter gehen, als der Herr Kollege von Berlin-Paris und behaupten: Dieser Arzt kann nicht sagen, daß er seine Frau überhaupt lieb hatte, sonst hätte er kein irgendwelches Verlangen darnach getragen, kalten Blutes in sie zu schneiden und ihr wehe zu tun. Ein Mann, der eine Frau liebt, kann ihr im Affekt, aber nicht nüchternen Sinnes und sozusagen mit Methode einen Schmerz zufügen. Ich war nie Arzt, besonders nie Chirurg, aber das glaube ich versichern zu dürfen: Wenn ich es wäre, nie würde ich einer geliebten Frau mit dem Bisturi nahen, wenn ich anders könnte. Ich kann mir dagegen sehr wohl denken, daß ein Chirurg an sonst einem geliebten Wesen, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Sohn, Tochter, Onkel, Tante, Hund, Katze usw. eine Operation zu vollziehen sich nicht scheut, denn diese Liebe ist in ihrem tiefsten Wesen von ganz andrer Beschaffenheit, als die Liebe zur Frau.
Ich weiß auch nicht, welcher Art die Operation war, der sich die Pariser Chirurgenfrau zu unterziehen hatte. Darauf kommt es auch gar nicht an. Am Körper einer geliebten Frau gibt es keinen Teil, in den der Mann, der sie liebt, gerne hineinschneiden möchte, und wenn er ein noch so berühmter Chirurg ist.
Eine Seite der Frage hat der Kollege des „Berliner Tageblatt“ unerörtert gelassen. Sie hat indes ihre Wichtigkeit. Der Pariser Arzt, der jetzt auf Scheidung klagt, kennt wahrscheinlich die Frauen. Er weiß, daß eine Frau, die operiert werden muß, sich am liebsten in die Hände eines Mannes gibt, den sie liebt. Auch und besonders dann, wenn sie damit rechnet, daß sie den Tod davon haben kann. Dann will sie wenigstens von der Hand des Geliebten sterben. Wenn man einen Mann vor die Wahl stellt, von einer geliebten Frau oder von seiner Köchin erschossen zu werden, wird er sich auch nicht für die Pistole der Köchin entscheiden.
Das alles wird der Chirurg in Paris wissen. Und wenn seine Frau sich lieber seinem Assistenten als ihm selber ans Messer lieferte, so wird er daraus die Konsequenzen gezogen haben.