Original

4. Januar 1925

„Beim Brosius“ - „im Metro“ - hörte man dieser Tage häufig als Antwort auf die Frage, wo denn abends was los sei. Und da dachte man denn gelegentlich daran, was im Krieg in diesen beiden Lokalen los war. Es war lange nicht so lustig und harmlos, wie die Operetten und die Lämmerhüpfen von heute. Unterm 15. August 1914, Mariä Himmelfahrt, steht in meinem Tagebuch:

„Gestern, Freitag abend, Viertel nach acht, brachten deutsche Soldaten zwei gefangene und verwundete französische Chasseurs à cheval über die neue Brücke. Die beiden blutjungen Franzosen waren ganz munter, einer, der den Arm in der Schlinge trug, parlierte lebhaft mit dem begleitenden Leutnant.

Gleich dahinter kam ein junger Zivilist, schwarzer Anzug, Knöpfstiefel mit grauem Überleder, Strohhut, zwischen preußischen Soldaten. Er war blaß. Ich sehe noch immer sein Gesicht, gar nicht französischer Typ, wulstige Lippen, platte Züge. Er wurde in die Torfahrt beim Hotel Brosius hineingeführt.

Ein dritter Zug brachte ein junges Frauenzimmer, diese aber typische französische Erscheinung, ein Helm von schwarzbraunem Haar um den Kopf, accrochecœurs an den Schläfen. Sie war barhaupt. Eine kleine, gedrungene Gestalt, mit kräftiger Plastik, schritt sie stelzend auf ihren hohen Absätzen inmitten der preußischen Soldaten die Philippstraße hinauf, wahrscheinlich nach dem Kölnischen Hof, wo alle Spionageverdächtigen verhört werden. Schauder erfaßt einen bei der Vorstellung, daß der Mann und die Frau vielleicht in den nächsten Stunden an eine Mauer gestellt werden, eine Salve und an der Erde liegen zwei schlappe, leblose Menschenleiber.“ (So tragisch erschien einem in jenen Tagen auch das unbedeutendste Geschehen, unter dem Eindruck der Greuelnachrichten von draußen. Diesmal lief es glimpflich ab, einige Tage später konnte man die vermeintlichen Todeskandidaten frei in den Straßen der Stadt umhergehen sehen.)

Hier kommt eine Tagebuchstelle, die in den ältern Mitgliedern unserer Boy-Scout-Gruppierungen unangenehme Erinnerungen wachrufen wird:

„Gestern (also am 14. August 1914) hatten sie auch den jungen S. gefaßt, als er in seiner Boy-ScoutUniform in die Schwimmanstalt im Grund kam, um zu baden. Ein Leutnant hielt ihn fest und führte ihn im Kölnischen Hof einem Major vor, der ihm sagte, die Boy-Scouts seien verdächtig, es sei erwiesen, daß von Boy-Scouts auf deutsche Truppen geschossen worden sei. S. wies sich aus, daß er mit seinen Kameraden Dienst für das Rote Kreuz tut, der Major meinte, dann müsse er eine Binde haben. S. hatte sein Notizbuch bei sich, in das er vorige Woche, als er für uns Reporter spielte, seine Eintragungen gemacht hatte. Das wurde als verdächtig zurückbehalten. Er wurde schließlich losgelassen, nachdem L. L. als einer der Organisatoren des Roten Kreuzes, und S. Vater sich für ihn verwandt hatten. S. sagte in seinem Verhör, ihr Chef sei Herr T., der als Kriegsberichterstatter eines luxemburger Blattes nach Brüssel gereist sei. Der Major erblickte darin eine Bestätigung dafür, daß die ganze Boy-ScoutBewegung belgienfreundlich sei.....

Artillerie übte heute morgen in den Merler Wiesen unterm Geißknäppchen. Indem kam ein französischer Aeroplan, der zuerst vom Glacis her unter Maschinengewehrseuer genommen und dann von den Geschützen in den Merler Wiesen mit Schrapnells beschossen wurde. 16 Schuß à 36 Mark! Während der Franzose beschossen wurde, ging hoch über die Stadt ein deutscher Eindecker in der Richtung nach der französischen Grenze......“

Die Militärflieger waren damals noch ein harmloses Schauspiel. Später wurde es bekanntlich anders.

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