Original

8. Januar 1925

Ein Ungenannter - oder eine Ungenannte - schickt mir ein vergilbtes Blatt, das vorne einen Totenkopf, am Schluß ein Kreuz trägt und dazwischen eine Meldung und ein Gedicht enthält, die durch eine wahre Begebenheit veranlaßt sind.

Hier der Wortlaut:

Eine Warnung Gottes, daß kein Luxemburger um fremder Herrschaft willen auf seine Luxemburger Landsleute schießen soll.

Die schreckliche Begebenheit, welche hier als eine christliche Legend erzählt wird, hat sich zugetragen beim Hollericher Kirchhof, ohnweit der Stadt Luxemburg den 24 Dezember 1831, Morgens um 2 Uhr. Das Stadtgericht war andern Tags an Ort und Stelle, und die zwo Leichen, durchlöchert von Kugeln, sind am hl. Christtag zu Hollerich begraben worden.

Wer gegen seine Brüder - Die Mörderkugel keult - Dem dreimal Weh! der Kirchhof heult!!!

Kriegesheer - Zu Fuß, zu Roß - Ein ganzer Troß, - Von Mamer und von Arlon her, - Durchwandelte um Mitternacht - Den Merler Wiesengrund, - Da bellt kein Wächter-Hund. - Im Überfall man’s stille macht.

Man stand nicht fern vom Gottesacker - Und lispelte sich heimlich: Wacker! - Die Uhr schlug zwei am Peters Thurm, - Und zwei O wehl heulte der Sturm, - Man sah Gestalten sich erheben - Und drohend über Gräber schweben; - Blutige Schwerdter flimmen. - Man hörte Todtenknochen krachen, - Und Zwietrachts-Teufel hämisch lachen; - Hörte Geisterstimmen: - „Luxemburger Kinder! - Werdet nicht zu Sünder! - Wer gegen Landeskinder - Die erste Kugel keult, - Dem dreimal Weh! der Kirchhof heult.“

Jedoch Gewissenbiß, - Eidbruch und Tugendriß - Und Christen-Kirchereien - Sind jungen Herrchen Spaßereien. - Das Dörfchen schien in Ruh, - Sie drangen trotzig zu.

Kain’s Blut wallt, - Flinte knallt; - Auf Schuß fällt Schuß - Bei bekanntem Freundesgruß - Im tollen Rasen. - Höllenspaß! - Was war das? - Die Flucht hat alle weggeblasen.

Kaum hört man noch in fernem Schauer - Trabender Rosse Huf, - Und an der stillen Kirchhofs-Mauer - Sterbender letzten Ruf: - „Tolle Wuth! - „Die Erde trinkt mein Bruderblut. - O Nein, uns traf nicht Feindes Blei; - Das war Gespenz und Geisterei. - Jesus! Maria! steh uns bei!

Als sterbend sie die Hände ringen, - So aus der Kirch’ die Worte klingen: - „Ihr folgtet meiner Warnung nicht, - „Drum steht ihr jetzt vor Gott’s Gericht. - „Bin der Betrübten Trösterinn, - „Und keine Brudermörderinn.

Wer gegen Landeskinder - Die Mörderkugel keult, - Dem dreimal Weh! der Kirchhof heult - Zu Hollerich um Mitternacht, - Wenn man an Jesu Krippe wacht. - Amen.

Im Zivilstandsregister von Hollerich 1831, Nr. 37, steht folgende Todesurkunde:

„L’an mil huit cent trente-un, le vingt-quatre du mois de Décembre à sept heures du matin, pardevant nous Bourgmestre, officier de l’état civil de la commune de Hollerich, canton de Luxembourg, Grand-Duché de Luxembourg, sont comparus Jean Ewert, âgé de trente-cinq ans, Fabricant, et Jean-Pierre Bour, âgé de ving-sept ans, domestique du précédent, domiciliés en cette commune.

Lesquels nous ont déclaré que Jean Morant, âgé de vingt-cinq ans, célibataire, faisant fonction de Commissaire de District à Mamer, est décédé à Hollerich, cejourd’hui à deux heures du matin en la maison N° - rue -;

et ont les comparants signé avec nous le présent acte, après que lecture leur en a été faite.

Joan Bour. J. Evert. J. Metzler.“

Gleich darunter folgt eine zweite, Wort für Wort gleichlautende Urkunde, in der der Tate als „Frauenberger François Jacques, âgé de trente ans, forestier d’Etat, à la résidence de Dippach, en cette Province“ bezeichnet ist.

In beiden Urkunden ist der Vordruck „en la maison N° - rue -“ durchstrichen, was darauf hindeutet, daß der Tod unter freiem Himmel erfolgt ist.

Vielleicht kann ein geschichtskundiger Leser, der über das Journal de la Ville et du Grand-Duché aus jener Zeit verfügt, das Dunkel aufklären, das über dieser schaurigen Geschichte schwebt? Es scheint sich um einen der Zusammenstöße zu handeln, die zur sogenannten belgischen Zeit, wo das flache Land belgisch, die Hauptstadt unter holländischem Szepter war, zwischen Orangisten und Anhängern des belgischen Regimes nicht selten vorkamen.

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KatalognummerBW-AK-013-2810