Original

11. Januar 1925

Die Eisenbahndebatte wäre also glücklich vorüber - wenn sie nicht wieder von vorne anfängt, sobald die Vorlage aus dem Staatsrat zurückkommt. Hoffentlich recht bald, damit wir das bisher Gehörte nicht schon wieder vergessen haben. Man kann den Annehmlichkeiten dieser Debatte so oder so gegenüberstehen und hat jedesmal ein lateinisches Sprichwort zur Rechtfertigung. Entweder: Non bis in idem! oder: Bis repetita placent!

So eine Debatte ist wie eine großmächtige Maschine, an der die treibenden und die getriebenen Organe teils offen liegen, teils tief im Innern versteckt sind. Die am besten versteckten sind oft die stärksten. Dies Über-, Unter-, Durch- und Nebeneinander der Maschinenteile, der sichtbaren und verborgenen, ist von erstaunlicher Vielfältigkeit, und wer Spaß an der Maschine hat, wird nicht müde, dem Spiel ihrer Glieder zuzusehen und zu beobachten, wie hier ein Rädchen, dort ein Hebel, hier eine Feder, dort eine Bremse wirkt und kunstvoll die Kräfte gegeneinander spielen, sich verstärkend oder sich aufhebend. Und mancher schüttelt den Kopf und meint, wie leicht es ohne die große Maschine ginge, mit einer Hand, wenn - ja, wenn die Politik nicht wäre.

Eines war wirklich herzerfreuend bei dieser ganzen Debatte: Wie begeistert die Besten des Volkes sich für unsere Freiheit, Unabhängigkeit, Selbständigkeit ins Feuer warfen. Es gab Momente, wo das Haus vor patriotischer Erregung zitterte, wo es genügt hätte, daß Herr Prüm aufgesprungen wäre und gerufen hätte: Mir nach gegen die belgischen Tyrannen! - so wären alle nachhaus gelaufen, hätten Flinten und Sensen ergriffen und wären in der Richtung Sterpenich-Arlon davongestürmt gegen den Unterdrücker.

Und das alles, weil unsere Eisenbahnen, ein Objekt, das nach Millionen zu werten ist, auf dem Spiele standen.

Wie wird da erst die Vaterlandsliebe überkochen, wenn es sich um Güter höherer Art, um geistige Eigenart, um Gewissensfreiheit, um Unterrichtsfragen u. a. m. handelt!

Alles in allem muß diese Sturmflut von Begeisterung unser Ansehen grade bei den Belgiern gefestigt haben, die von alters her Fanatiker der Freiheit und Unabhängigkeit waren und sogar für ihre Freiheit und Unabhängigkeit Gut und Leben gelassen haben und immer noch zu lassen bereit sind, während wir diese Kostbarkeiten immer sozusagen als Geschenk von der Gerechtigkeitsliebe der andern erwarten.

Zweie waren, die im Lauf dieser Eisenbahndebatte Kohlen auf den Häuptern ihrer Feinde müssen glühen gesehen haben. Der eine war Herr Reuter, dem sein erbittertster Gegner Mark eine förmliche politische Liebeserklärung mit Weihrauch und Glockengeläute machte, der andere war unser Nachbar im Osten, der es am 2. August 1914 gründlich mit uns verschüttet hat, und dem Herr Hoffmann trotzdem das Zeugnis ausstellte, seine Verwaltung auf unserm Boden sei vor dem Krieg ein Ideal gewesen, sowohl was die Bahnen, wie was die Zölle angeht.

Die Freunde des Vertrags versichern, es werde nun noch sehr viel besser werden, als zur deutschen Zeit.

Vielleicht erleben wir also dasselbe, wie vor zweiundfünfzig Jahren, als die Franzosen unsere Bahnen in andere Hand geben mußten. In Eisenbahnerkreisen wurde lange die Geschichte vom Schiltze Petit erzählt, der am Ersten an den Schalter der Bahnkasse kam und seinen Augen nicht trauen wollte, als sich vor ihm die Taler häuften: Soviel für den vergangenen Monat, soviel für den Monat, der heute beginnt, soviel Zulage usw. usw.

„Ist das alles für mich?“ frug Schiltze Petit mißtrauisch.

„Selbstverständlich!“

Da strich er die Taler langsam und betulich ein und sagte:

„Da gin s’ elo och net me’h beklaakt.“

Was gäbe nicht alle Welt drum, wenn sich nun der Fall wiederholte und Herr Erpelding, wenn er unter dem neuen Vertrag sein erstes Gehalt einstreicht, von den Belgiern dasselbe sagen könnte, was Schiltze Petit damals von den Deutschen sagte.

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KatalognummerBW-AK-013-2813