Schon Mitte Januar und noch kein Schnee!
Ein Winter ohne Schnee ist eine Gabel ohne Löffel, ein linker Handschuh ohne den rechten, eine Harmonika, auf der die schönsten Töne nicht gehen, ein Liedchen ohne Weise.
Denn das Schönste am Winter ist der Schnee. Wie könnte Herr Mousset von Esch zum Beispiel ein Winterbild vom Ellergrund malen ohne Schnee? Wer Winter sagt, denkt Schnee. Er schwelgt in der Vorstellung niedertaumelnder Flocken. Die Lumpenhändler zerschlagen sich, sagten wir als Kinder, wenn wir in der warmen Stube am Fenster standen, Stirnen an der Scheibe, und den nußgroßen Flocken zusahen. Sie kamen auf einen zu aus dem niederschwebenden Durcheinander, und wie ein Schicksal köste sich plötzlich eine aus der Masse und flog auf einen zu, als zielte sie nach der Nasenspitze. Da klebte sie an der Scheibe, und man konnte in die Verästelung der Kristalle hineinsehen, deren wunderfeine Gebilde nach ewigen Gesetzen geronnen waren, sah bedauernd, wie sie langsam an der Stubenwärme zergingen und in ihrem Kreislauf die Scheibe herunter weitertropften, und draußen sank es fort und fort im leisen Westwind, die Luft war voll wie von Kriegsflüchtlingen, bald sah man über der Straße das Nachbarhaus nicht mehr, man freute sich eigennützig des Geborgenseins, wenn draußen die überschneiten Gestalten, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, vorbeihuschten, die Männer mit den Händen in den Taschen und dem Mützenschirm über den Augen, die Frauen mit den Überröcken wie Nischen über dem Kopf. Und hinterher die Schneeballenschlachten und die Schneemänner und die Riesenlawinen, von denen immer noch ein mißfarbener Haufen übrig blieb, wenn sonst der Schnee aus allen Straßen und von allen Äckern fortgeschmolzen war.
Schon Mitte Januar und noch immer kein Schnee! Die Erde mußte schlafen gehen und hatte nichts, sich zuzudecken, nackt und fröstelnd liegt sie unterm Winterhimmel. Und ihre Quellen werden im Frühling vergebens auf die sickernden Rinnsälchen warten, die zur Zeit der Schneeschmelze durch Erde und Sand und Felsspalten langsam einsickern. Und sie muß nach dem Erwachen ihre Morgentoilette ohne den leichten, spitzenbesetzten weißen Frisiermantel machen, der ihr so hübsch zu Gesicht steht und den sie eines lauen Märztages lächelnd ablegt, um sich in ihrer keimenden Pracht der Sonne darzubieten.
Freilich, mein Freund Grimberger sieht es anders. Er denkt beim Schnee gleich an das Schneewasser und an nasse Füße und Schnupfen und Überschwemmungen. Lassen wir ihm seine Freude.
Vor einigen Tagen hatte es im Vormittag zu schneien angefangen. Es war wie ein leises Vorspiel zu einer richtigen Schneesymphonie. Aber im halben Vorspiel hörte es auf. Über die Erde lag noch eine kurze Weile ein leichtes, spinnwebdünnes, durchsichtiges Tüllgewebe von Schnee.
Da sah ich von weitem zwei Männer über den Vorplatz zur Neuen Brücke schreiten. Sie hatten jeder einen Behälter, in den sie Schritt für Schritt hineingriffen, um mit weit ausholender, feierlicher Sämannsgebärde etwas auszustreuen, das fast wie rotbrauner Weizen aussah.
Es war aber Viehsalz. Damit zogen sie majestätisch gegen den Schnee zu Feld, der noch keiner war.
Nie sah ich ein schöneres Symbol der Verwaltung, die auf französisch administra-a-a-ation heißt.