Vor kurzem erschien in der „Luxemburger Zeitung“ ein Artikel von Annette Kolb über das nachgelassene Werk „Aus meinem Leben“ vom Prinzen Alexander von Hohenlohe.
Unsere Leser werden sich auch der interessanten Beiträge erinnern, die wir aus der Feder des Verstorbenen öfters zu veröffentlichen in der Lage waren.
Dies Buch eines abgeklärten, durch keine Kastenrücksichten eingeengten Geistes muß man gelesen haben, um gewisse Seiten unserer Zeit und der Vorgeschichte des Zusammenbruchs von 1918 zu verstehen. Wenn ein Werk, wie dieses, über die Zusammenhänge, die zur französischen Revolution führten, geschrieben worden wäre, so würde es heute als das wichtigste Dokument zum Verständnis des Übergangs vom alten zum neuen Regime gewertet.
Es genügt, dies anzudeuten, um jedem klar zu machen, was das Werk Alexanders von Hohenlohe für die deutsche Geschichte und mithin die Weltgeschichte aus den Jahrzehnten vor dem Großen Krieg bedeutet. Uns, die wir den Vorgängen innerhalb der Weltmächte immer als allerdings nicht unbeteiligte, aber durchweg uneingeweihte Zuschauer gegenüber standen, muß es besonders interessieren, wenn uns ein Kundiger noch nachträglich in den Kulissen herumführt, nachdem über der Tragödie der Vorhang gefallen ist.
In einem Kapitel, das „Hofluft und Zeitgeist“ überschrieben ist, läßt sich der Verfasser über Wilhelm II. aus, von dessen ruheloser Aktion auch zu uns herüber hie und da Ringe schlugen. Heißt es doch, er habe zum Beispiel für den Bau unseres neuen Bahnhofes die architektonischen Richtlinien angegeben.
„Wilhelm II. - schreibt Alexander von Hohenlohe - hat nicht nur seine Dynastie und sein Land in den Abgrund geführt, er, der sich gewissermaßen als den Inbegriff, als das Prototyp des Monarchen von Gottes Gnaden betrachtete, er hat - und das ist die tragische Ironie seines Schicksals - der Monarchie, dem monarchischen Prinzip überhaupt mehr geschader, als der revolutionärste der Kommunisten es je fertig gebracht hätte. Ihm in erster Linie verdanken es alle seine Kollegen auf den deutschen Thronen, daß sie in wenigen Stunden durch die Revolution hinweggefegt worden sind. Freilich ein großer Teil von ihnen trägt selber daran Schuld, weil sie einerseits in den Jahren seiner Regierung sich ihm viel zu gefügig gezeigt und nicht den nötigen Mut aufgebracht haben, seinen autokratischen Velleitäten beizeiten Widerstand zu leisten, andererseits weil die meisten von ihnen ebensowenig die Zeichen der Zeit verstanden haben wie er. Deutsche Fürsten waren es allerdings nicht allein, die mit Blindheit geschlagen zu sein schienen. Wie sah es denn, von Rußland ganz zu schweigen, in Österreich-Ungarn aus? Hätte denn der Krieg ausbrechen, hätte der Weltbrand so leichtsinnig angezündet werden können, wenn Monarchen wie Diplomaten nicht in einer geradezu unglaublichen Ignoranz und Mißachtung der Kräfte gelebt hätten, die heute die Welt bewegen? Monarchen, Minister wie Generale lebten noch, als wenn der Kalender nicht 1914, sondern 1814 geschrieben, ja als ob wir nicht im zwanzigsten, sondern im achtzehnten Jahrhundert gelebt hätten.
„Als sich dann der „Weltkrieg“ notwendig und automatisch zu einer Weltkatastrophe und einer Weltrevolution gestaltete, da standen diese Herren plötzlich in ihren altmodischen, aus einer längst vergangenen Zeit stammenden Kostümen da wie die Schauspieler eines Theaters, das plötzlich während der Vorstellung in Brand geraten ist. Wie konnte es geschehen, daß sie alle, daß besonders die Souveräne von dem allen so überrascht wurden wie Kinder, die mit einer Zündhölzchenschachtel gespielt und plötzlich eine ganze Stadt in Brand gesteckt haben?“
Alexander von Hohenlohe erzählt dann eingehend, wie Dr. Hinzpeter Erzieher des nachmaligen Kaisers wurde und führt aus einem Brief Hinzpeters an Sir Robert Morier eine Stelle an, die im Licht der Ereignisse wirklich tragische Bedeutung gewinnt. Dr. Hinzpeter spricht über seine Erfahrungen als Lehrer des Prinzen Wilhelm aus der Zeit, wo er Einblick in den Charakter seines Zöglings gewonnen haben muß:
„Sie ahnen nicht, in welchen Abgrund ich geblickt habe.“