Original

24. Januar 1925

„Doch, Herr Grimberger, da müssen Sie unbedingt hin!“

Er grunzte durch die Nase und zuckte unwillig die Achseln.

„Lassen Sie mich ungeschoren! .... Wie heißt denn nun wieder dieser Wohltätigkeitsrummel, für den Sie mich breitschlagen wollen?“

„Erstens ist das kein Rummel, sondern zweitens find Sie ein ekelhafter und widerborstiger Brummbär, was sie im Österreichischen Zwiderwurzen nennen, und wenn Ihnen die Sache nicht paßt, so verschnarchen Sie Ihren Sonntag Nachmittag daheim bis zum Abendessen und kriegen Unterleibsverstopfung und Hypochondrie - und ich werde es Ihnen von Herzen gönnen!“

„Daran zweifle ich keinen Augenblick. Aber in Dreideubels Namen, wo soll ich denn hingehen? Weiß man denn wenigstens, ob dabei etwas herauskommt, und was und für wen?“

„Sehen Sie, lieber Grimberger, hätten Sie vorhin aufgepaßt, statt über eingebildete Unbill zu grübeln, die Ihnen das Leben zufügt, so wüßten Sie Bescheid.“

„Also um was handelt es sich?“

„Um ein Konzert, das am Sonntag, also morgen nachmittag, die Militärkapelle zum Besten der Kinderkrippe gibt.“

„Aha! Militär und Kinderkrippe. Die Zusammenstellung laß ich mir gefallen.“

„Die Militärkapelle kennen Sie ja?“

„Ei freilich! In jedem Land ist immer ein Ding, das tadellos funktioniert. In Spanien zum Beispiel find es die Stierkämpfe, in Frankreich sind es die Ehebruchsdramen, in Italien ist es die Staatslotterie, hier bei uns ist es die Militärkapelle. Mit ihr könnten wir uns überall sehen lassen. Warum arbeiten nicht alle öffentlichen Einrichtungen so tadellos? An Dirigenten fehlt es doch wahrhaftig nicht!“

„Sie weichen aus, Herr Grimberger. Wir waren bei der Kinderkrippe, die nebenbei gesagt ebenso tadellos funktioniert.“

„Kinderkrippe? Nie davon gehört. Sind das am Ende die Gören, die man Sommers in dem Gärtchen an der Corniche hinter dem alten Funck’schen Haus juchhezen hört und die mit einer Nonne zuweilen in rosa Kapuzenmäntelchen durch die Stadt trippeln?“

„Jawohl. Aber die Zeit der rosa Mäntelchen ist um, und man ist froh, wenn man genug zusammen bringt, um die kleinen, aber allzeit hungrigen Mäulchen zu stopfen.“

Er besann sich eine Weile. Dann:

„Ich habe immer gehört, daß bei solchen Wohltätigkeitsfesten in der Regel 17 Francs 35 Centimes übrig bleiben.“

„Bitte sehr. Sie meinen die Veranstaltungen, bei denen sich dieser und jener im Namen der Wohltätigkeit ins Schaufenster drängt.“

„Und glauben Sie, daß hier eine Ausnahme ....?“

„Herr Grimberger, jeder Eingeweihte weiß, daß die Wohltätigkeitsfeste der Kinderkrippe seit Jahren eine stehende Einrichtung sind, bei der Geld einfach herauskommen muß, weil das Werk zu einem großen Teil von diesen Einnahmen lebt.“

Er machte seine ungläubige Miene.

„Sie wollen mir doch nicht einreden, daß die Leute so von der Hand in den Mund leben!“

„Sie haben allerdings ihre regelmäßigen Jahresbeiträge und die dürftigen Zuschüsse vom Staat und von der Gemeinde, auch milde Gaben in bar und Natura fließen ihnen zu, aber das genügt nicht. Von einem früheren groß angelegten Bazar her haben sie ein Kapital liegen und hoffen, daß es eines Tages genügen wird, für die Kinderkrippe ein eigenes Heim zu bauen. Das alte Haus im Breitenweg, in dem die Kinder untergebracht sind, ist zwar historisch merkwürdig, aber schwer sauber zu halten und für den Zweck so ungeeignet wie möglich. Man möchte unter anderm eine Badestube haben, damit die Kleinen nicht notdürftig in einer Bütte gebadet werden müssen, die nach jedem Gebrauch draußen umgekippt werden muß.“

Grimberger kratzte sich hinter den Ohren und sagte:

„Verzeihen Sie, Sie reden allerhand daher von Kindern und Breitenweg und Badewannen - ich habe ja keine blasse Ahnung, wie das alles zusammenhängt.“

„Ach so. Sie wissen also über die Kinderkrippe genau so viel, wie 99½ Prozent aller Luxemburger. Die Sache ist sehr einfach. Die Frauen aus dem Arbeiterstand, die tagüber auswärts ihrem Erwerb nachgehen müssen, bringen des Morgens ihre Kinder in die Krippe und holen sie abends wieder ab. In der Krippe erhalten die Kleinen Frühstück, Mittagessen und Vesperbrot, werden sauber gehalten, beaufsichtigt wie in einem Kindergarten, kurzum, die ganze Sorge um sie wird den Müttern abgenommen.“

„Und wer tut das?“

Ich nannte ihm ein paar von den Damen, die sich um das Werk verdient machen.

„Hm hm,“ meinte er kopfschüttelnd, „da scheint ja endlich einmal die Politik nicht die treibende Kraft zu sein.“

Er wurde zusehends wärmer.

„Ei natürlich muß da geholfen werden, selbstverständlich müssen die Wichtelcher eine BadeEinrichtung haben, unbedingt müssen sie ein eigenes Heim haben, irgendwo in der Stadt, wohin für die Mütter der Weg nicht zu weit wäre, wo sie einen schönen, großen, schattigen Garten zum Spielen hätten. ... Sagen Sie, haben Sie unter Ihren Freundinnen nicht eine alte Jungfer, die der Krippe ein solches Haus testamentarisch vermachen könnte?“

Nun war er schon Feuer und Flamme.

„Ich werde selbstredend mein Scherflein schicken. Nennen Sie mir eine Adresse. Glauben Sie, daß 300 - sagen wir 500 Francs genügen?“

„Lieber Herr Grimberger, tun Sie das lieber nicht, Sie bringen sich um eine reine Freude. Wenn Sie 500 Franken spenden wollen, so gehen Sie morgen nachmittag halb drei Uhr ins Konzert, im Cercle. Sie hören treffliche Musik, darunter einen vorzüglichen Pianisten Professor Louis Closson von Lüttich, nachher wird getanzt, reizende junge Mädchen verkaufen Ihnen Blumen und Ansichtskarten und schenken Ihnen Tee und Champagner ein und sind glücklich, wenn Sie ihnen Ihre 500 Franken zu lösen geben. Sie werden mitten in eitel Lust und Freude drin sitzen mit dem Bewußtsein, ein gutes Werk zu tun......“

„Werden Sie nicht sentimental,“ feixte er. „Also morgen, um halb drei im Cercle.“

Ich bemerke nur noch, daß man sich auch mit sehr viel weniger als 500 Fr. hinwagen darf.

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    Katalognummer BW-AK-013-2824