Seidelbast und Schnepfen haben nicht gelogen, es ist wirklich schon ein Vorschuß von Frühling in der Luft. „Leise sahren junge Wolken durchs Blau,“ sagt irgendwo Hermann Hesse. Der Himmel macht der Erde mit zarten Gedichten die Kur, aber sie tut noch sehr zurückhaltend, will sich nichts vergeben. „Bitte mein Herr, ich bin noch so jung und unschuldig.“ Die Wiesen machen noch keinen Versuch, zu ergrünen, was bei ihnen dasselbe ist, wie wenn ein Backsisch verliedt errötet, noch sind die Knofpen sichtbar darauf aus, aufzubrechen. Aber die Menschen fühlen in ihren Seelen das Frühlingsradium und reden und blicken unternehmend und hoffnungsvoll und optimistisch.
Sogar der Autobus hat mutwillige Anwandlungen, er singt die Höhen hinauf, wie ein Student, der in die Ferien wandert, und in den Pausen, wenn er nicht zu fahren braucht, wenn Schaffner und Chausseur in einer Gastwirtschaft Besorgungen erledigen, dann ist Dir auf Deiner Bank in dem zitternden Wagen, als ob der Motor zutunlich auf Dir Mandoline spielte, immer auf derselben Saite, bald forte bald piano, immer vibrierend, wie der Daumen des Mandolinisten.
Je näher der Autobus dem Moseltal kommt, desto milder wird die Luft. Die Weinberge liegen braun und stachelig und verdrossen, als wollten sie sagen: Was wollt denn Ihr, Wiesen und Äcker, wir haben doch das erste Anrecht auf die Frühlingssonne. Wir wollen am ersten bedient sein, sonst haben wir hinterher wieder das Geschimpf über den sauern Krätzer!
Ein Bäuerlein mit einer Pelzkappe sticht sich an einem langen Stock - oder ist es eine Bohnenstange? - bedächtig über die mit Maulwurfshügeln braun betupfte Wiese voran. Sonst ist im ganzen Umkreis keine lebende Seele zu erblicken. Idyll! Wird es wirklich einmal dazu kommen, daß die Bahn an die Mosel dies Idyll zerstören, daß sie aus der trüben Atmosphäre der Wahlversprechen und Kammerreden mit übermütigem Pfiff in die klare Luft der Wirklichkeit donnern wird?
Die Glocken läuten zu Hauf, zu ungewohnter Vormittagsstunde, und jeder fragt den andern: Wer wird begraben?
Warum soll von der Toten, die im Leben nie in die Zeitung kam, heute, da die Glocken sie zu Grab läuten, nicht ein Wort des Nachrufs stehen? Ihr Leben war treue Arbeit von Kindheit auf bis an ihr Totenbett. Sie war denen treu, für die sie arbeitete, und sie war sich selber treu. Man hielt große Stücke auf sie, weil sie den Stolz besaß, der die Zierde der Bescheidenen ist: daß sie sich nie etwas vergab, daß sie den Platz ganz ausfüllte, auf den das Leben sie gestellt hatte. Dieser Stolz war der beste Bürge dafür, daß sie ihre Pflicht tat bis zu Ende. Der Name tut nichts zur Sache, die es wissen sollen, wissen es. So brave, treue Seelen, wie sie eine war, gibt es noch trotz Krieg und Bolschewismus. Aber es gibt sie immer weniger. Weil die Menschen es zu verlernen scheinen, die eigene Genugtuung über erfüllte Pflicht als einen Teil des Lohnes anzusehen, den sie dafür vom Leben zu beanspruchen haben. Und doch kommen aus diesen auf die Dauer stets die, die auf den Höhen wandeln. Gehe dem Ursprung eines Großen, Starken nach, immer wirst Du finden, daß der Auftrieb zum Teil von einer Mutter kam, die die Pflicht der Pflicht wegen erfüllte. Der Keim ist nie verloren, ob es auch manchmal scheinen will. Er kann Geschlechter durch unentwickelt liegen, einmal muß die gesegnete Muttersaat aufgehen.