Original

31. Januar 1925

Am Horizont sah ich die Monate her ein Haus aus dem Boden wachsen: die Mauern, die Fensterhöhlen, das Dachgesperre, das Dach. Bis eines Tages der erste Rauch aus dem Schornsteig stieg.

Sie sagen: Er hat sich ein Haus gebaut. Das heißt: Erfüllung. Er hat sich niedergelassen, er hat Wurzeln geschlagen. Er weiß jetzt, wo er einst sterben wird, aus welcher Haustür sie ihn hinaustragen werden.

Wenn Ihr tief innen empfinden wollt, was „das Haus“ bedeutet, müßt Ihr hinausgehen. In den Städten ist das Phänomen „Haus“ selten. In den Städten gibt es „die Häuser“, aber nur ab und zu „das Haus“, das Individuum, das aus einer wimmelnden Masse von Imponderabilien besteht, die etwas ganz anderes sind, als Mauern, Türen, Dach und Fenster.

Draußen baut sich einer noch sein Haus, und das heißt dann nicht, daß er einen Unternehmer damit betraut, der ihn unter den unglaublichsten Vorwänden immer weiter vertröstet und immer weitere Mehrkosten berechnet, bis der andere dicht vor der Gelbsucht steht.

Draußen baut sich einer sein Haus mit eigenen Händen.

Du siehst ihn jahraus jahrein Steine, Sand, Ziegel, Träger, Borten, Kalk und Balken fahren. Er geht neben seinem Gaul und träumt sein Haus. Du kennst den Platz, wohin er bauen wird. Ein Stück Garten oder Wiese oder Acker. Du siehst nur Acker, Wiese, Garten. Du siehst das Haus noch nicht, trotzdem es schon da steht, fertig bis zum First; und die Gedanken des Erbauers wohnen schon darin, seine Sorgen, seine Liebe, seine Hoffnungen.

Steine, Sand, Kalk, Träger schichten und türmen sich zu Haufen, da fängt er an, wenn die Äcker schlosen, die Fundamente zu graben. Dann verhandelt er mit den Maurern, zähe, verbissen. So wenig Bargeld wie möglich will er herausrücken. Lieber schaffen, handlangen, tagelöhnern, so viel verlangt wird. Jede Lage Mörtel betropft er mit seinem Schweiß. Er macht eine Lehrzeit durch. Er wird blindlings vertraut mit Metermaß. Senkblei und Wasserwage. Er lernt schlaflose Nächte hindurch kopfrechnen.

So wird das Haus sein Haus, aus seiner Substanz gewachsen, wie ein Kind aus den Säften der Mutter.

Nicht immer sieht es ihn in der Wirklichkeit an mit dem Gesicht, das es in seiner Erwartung hatte. Ein Haus ist nicht ein Einzelton, der an und für sich im Raum steht, es ist ein Ton in einem Akkord. Es kann zu seiner Umgebung stimmen oder nicht. Es kann sagen: Ich bin die Ruh, ich bin der Frieden! Und es kann sagen: Was ist Euch denn eingefallen, mich ausgerechnet hieher zu setzen, wo ich aussehe, wie ein Schrank, der von seinem Platz gerückt ist!

So kann einer an seinem fertigen Haus Freude oder Enttäuschung erleben, wie an einer Kusine etwa, die er seit ihrer Kindheit aus den Augen verloren hatte und die er als Achtzehnjährige wiedersieht. Ihr Bild kann ihm auf den ersten Blick lieblich eingehen, oder er kann sagen: Pfui Teufel, so hätte ich sie mir nicht vorgestellt.

Das Haus hat ein Gesicht, wie die Kusine, die man als Achtzehnjährige wiedersieht. Verschieb in einem Gesicht einen Zug um ein Bruchteil von Millimeter, so kann es häßlich werden statt schön. Stell ein Haus so oder so vor seinen Hintergrund oder in seine Umgebung, gruppiere Fenster und Türen so oder anders und das Haus wird Dir zutraulich oder abweisend kommen.

Das Haus ist das Gesäß unseres Lebens und zugleich die Quelle, wo es entspringt, von wo es hinauskreist, entrinnt, um draußen zu versinken.

Das Haus ist unser stummer Feind oder unser stiller Freund. Es empfängt und entläßt uns freundlich oder feindselig. Leid und Lust unserer Tage ziehen in seine Wände ein und werden von ihnen ausgestrahlt.

Geschieht es Ihnen nie, daß Sie vor einem Hause stehen bleiben und die Frage sich vor Ihnen aufrichtet: Wie wird dies Haus dereinst vom Boden verschwinden?

Wird es in einem neuen Krieg zerschossen, muß es einem schöneren, größeren weichen, wird es einst, wenn die großen Ströme des Lebens sich ein anderes Bett gesucht haben, in der Wüste verfallen und als Nuine dastehen, in die Sonne, Mond und Sterne scheinen, über die die Wolken ihren Tau ausgießen, in deren Schutt über tausend Jahre Menschen herumsteigen werden mit Herzen und Hirnen, Sinnen, Sehnsüchten, Tugenden, Lastern, Leidenschaften, Hoffnungen und Enttäuschungen wie wir - Menschen, so gierig nach Wissen und Wahrheit wie wir, und die die Zeiten zurückspähen und sinnen werden, wie es wohl vor tausend Jahren in diesem Haus ausgesehen haben mag?

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    Katalognummer BW-AK-013-2830