Original

4. Februar 1925

Morgens begegnete mir ein Bekannter, der ein erfahrener Sportsmann und ein verständnisvoller Tierliebhaber ist.

„Du mußt etwas gegen die Raben schreiben,“ trat er mich an. „Meiner Wohnung gegenüber im Park treiben sich mehrere dieser Mordgesellen herum und zerstören die Vogelnester. Einen habe ich früher einmal in flagranti ertappt, wie er eine Schwarzamsel in seinen Horst trug. Sie sind den Singvögeln noch gefährlicher, als die Katzen.“

Ich versprach ihm, gegen die Raben Front zu machen, nahm mir aber insgeheim vor, erst in Brehms Tierleben nachzuschlagen, und frug ihn darum, um welche der mehreren Abarten der Rabenfamilie es sich handle.

„Es sind die Rabenkrähen,“ sagte er mit großer Bestimmtheit, und zählte dann alle andern, wie Saatkrähe, Kolkraben usw. auf, die unser Sprachgebrauch unter dem Namen Kueb zusammenfaßt. Für Sprachsorscher sei hier nebenbei bemerkt, daß Kueb eigentlich Kuerb lauten sollte (von corbeau) wie Kuerf von corbeille.

Bei Brehm fand ich das Urteil meines Bekannten über die Rabenkrähe bestätigt, und es sei demnach der Parkpolizei überlassen, wie sie sich zu dem Missetäter stellen will.

„Die Rabenkrähe, Corvus corone L., ist schwarz, mit veilchen- oder purpurfarbenem Schiller und braunen Augensternen, in der Jugend mattschwarz mit grauer Iris.....

Die Rabenkrähe lebt in Deutschland, westlich der Elbe, in Frankreich, Spanien, England, der Schweiz und Oberitalien, in einer Abart in Ostsibirien bis Japan und Nordchina. .... Die Rabenkrähen halten sich paarweise zusammen und bewohnen gemeinschaftlich ein kleineres oder größeres Gebiet, aus dem sie sich selten entfernen. Feldgehölze bilden ihre liebsten Aufenthaltsorte; sie meiden aber auch größere Waldungen nicht und siedeln sich da, wo sie sich sicher wissen, selbst in unmittelbarer Nähe des Menschen, zum Beispiel in Baumgärten an. Sie sind in hohem Grade gesellig, leiblich wie geistig gut ausgerüstet und somit befähigt, eine bedeutsame Rolle zu spielen. Sie gehen gut, schrittweise, zwar etwas wackelnd, jedoch ohne jede Anstrengung, fliegen leicht und ausdauernd, wenn auch minder gewandt, als die größeren Kolkraben, haben scharfe Sinne, namentlich was Gesicht und Gehör anlangt, und stehen an Begabung kaum oder nicht hinter jenem zurück. Im kleinen leisten sie ungefähr dasselbe, was der Rabe im großen auszuführen vermag; da sie aber regelmäßig bloß kleineren Tieren gefährlich werden, stiften sie wenig Schaden.“

Das stimmt nun allerdings nicht ganz mit dem folgenden Absatz:

„Vogelnester plündern sie, wo sie nur können, und einen kranken Hasen und ein Rebhuhn überfallen sie ebenfalls; sie können auch im Garten und im Gehöfte mancherlei Unfug stiften und endlich das reifende Getreide, besonders die Gerste, empfindlich brandschatzen.“

Sehr unterhaltend liest sich, was Brehm über das tägliche Leben der Rabenkrähe und ihrer nächsten Verwandten, der Nebelkrähe, zu sagen weiß:

„Sie sind sehr gesellig - heißt es u. a. - und halten trotz häusiger innerlicher Streitigkeiten nach außen treu zusammen. Sysselmaand Müller auf den Färöer, ein ausgezeichneter Beobachter, gibt folgendes über die Rabeakrähen an: «Sie halten zuweilen einen Krähenlandtag (Kragething), wobei ein paar hundert Stück sich auf einer Stelle versammeln. Doch habe ich nicht bemerkt, daß sie nach Beendigung der Versammlung eine oder zwei Tote zurücklassen, wie von andrer Seite berichtet wird. Ich glaube, daß Versammlungen dieser Art durch das Erscheinen eines fremden Raubvogels veranlaßt werden.»

Ereignet sich etwas Auffallendes - heißt es bei Brehm weiter - so sind die Krähen gewiß die ersten, die es bemerken und andern Geschöpfen anzeigen. Ein Raubvogel wird mit lantem Geschrei begrüßt und so eifrig verfolgt, daß er oft unverrichteter Sache abziehen muß. Gegen Mittag fliegen die Krähen einem dichten Baume zu und verbergen sich in dessen Laub, um Mittagsruhe zu halten. Nachmittags gehen sie zum zweiten Male auf Nahrung aus, und gegen Abend versammeln sie sich in zahlreicher Menge auf bestimmten Plätzen, gleichsam in der Absicht, hier gegenseitig die Erlebnisse des Tages auszutauschen. ...

Im Februar und März schließen sich die einzelnen Paare noch enger, als sonst, aneinander, schwatzen in liebenswürdiger Weise zusammen, und das Männchen macht außerdem durch sonderbare Bewegungen oder Verneigungen und eigentümliches Breiten der Schwingen dem Weibchen in artiger Weise den Hof. Der Horst, der Ende März oder Anfang April auf hohen Bäumen, in Ermangelung solcher auch in Büschen, sogar auf Sanddünen und an Felswänden angelegt oder, wenn vorjährig, für die neue Brut wieder hergerichtet wird, ähnelt dem des Kolkraben, ist aber bedeutend kleiner, höchstens 60 cm breit und nur 4 cm tief.....“

Ich denke, als Steckbrief gegen den Vogelmörder genügt das.

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KatalognummerBW-AK-013-2833